Leserbrief zum Artikel Geschichtswissenschaft: Stand der Aufarbeitung: Verstörend
vom 23.04.2021:
Bedrückende Erfahrung
Dazu ein Zitat aus einem Reisebericht von Mai 2015 von mir: »Fahrradtour auf dem ›Europaradweg R1‹«: »Meine Absicht ist, auf der Fahrt von Wiedenbrück nach Detmold die Gedenkstätte für das Kriegsgefangenenlager ›Stalag 326‹ bei Stuckenbrock-Senne zu besuchen. Man hat den Routenverlauf wohl mit Bedacht nicht direkt vor dem Tor zu Gedenkstätte vorbeigeführt; dadurch hat man es vermeiden können, das Lager auf den ›R1‹- Werbetafeln am Wegesrand erwähnen zu müssen. Statt dessen werden dort ein Dorfschulmuseum und ein ausgestelltes Stück ›Berliner Mauer‹ beworben. Das ›Stalag‹ befindet sich innerhalb des Geländes der Landespolizeischule NRW. Am Tor weist mich eine junge Polizistin in Zivil ab. Heute sei die Gedenkstätte leider nur von 10 bis 12 geöffnet gewesen, da ›ehrenamtlich betreut‹. Ich frage, ob man sich die Gedenkstätte denn wenigstens von außen ansehen könne. Das gehe leider nicht, da Polizeigebiet. Ich bedanke mich leicht verärgert. Zum Schluss mache ich draußen vor der Schranke noch ein Foto mit dem Schild ›Stalag 326‹. Jetzt ist aber was los! Fotografierverbot! Ein Polizeibully mit vier Mann prescht herbei. Bild löschen. Personenüberprüfung. Der Oberbulle hat zwei dicke Kabelbinder am Gürtel, die er wohl ab und zu mal gebraucht. Mir wird ganz anders. Die ganze Gegend atmet eine Art Belagerungszustand, die ganze Senne ist ja ein riesiges Militärgelände.« Meine Schlussfolgerung aus dieser bedrückenden Erfahrung mit diesem gescheiterten Besuch der Gedenkstätte: Egal, was es an schönen neuen Konzepten geben mag: Diese Gedenkstätte muss endlich frei zugänglich sein! Ich finde es völlig inakzeptabel, dass dieses Gelände in unseliger Tradition weiterhin von Militär oder Bereitschaftspolizei »verwaltet« wird. Es sieht so aus, als würden die sowjetischen Kriegsgefangenen dort heute noch »bewacht« werden.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 27.04.2021.