Zeit ist Leben
Zwei Probleme tauchen in dem Artikel auf. Erstens: Der Autor legt zu Recht die Finger auf die Zurichtungsmethoden des kapitalistischen Alltags, deren Integrationskraft und sich dadurch ergebende Verwertung weitreichender Lebensbereiche. Dabei entsteht aber der Eindruck, dass Verwertung »immer mehr zunimmt«. Diese Logik kennt nur ein Auf und Ab von Entwicklung, aber nicht ihre Widersprüchlichkeit. Lohnabhängige, Tagelöhner usw. gehen nie vollständig in der »Synchronisierung von Ichzeit und Weltzeit« auf, auch die Vorstellung der »Existenz ohne Bindungen« scheint maßlos übertrieben und wenig empiriegesättigt. Der Autor fragt nicht, welche anderen, neuen Bindungen entstehen, sondern bietet dagegen »Reservate« einer inhaltsleeren »gebrauchswertbezogenen Zwischenmenschlichkeit« auf. »Das Lebendige« soll »sich noch einmal aufbäumen«. Hier blitzt nicht nur biedere Industriefeindlichkeit und moderne Maschinenstürmerei auf, sondern auch ein Fatalismus, demzufolge sich die Subjekte bitte möglichst den gesellschaftlichen Entwicklungen entziehen sollen, statt sie selbstbewusst für die Emanzipation einzusetzen. Zweitens: Es ist tatsächlich sinnvoll, nach der gegenwärtige ideologische Verhältnisse konstituierenden Religiösität zu fragen. Yoga, Buddhismus und Taoismus werden aber allzuschnell in einen Topf geschmissen. Yoga ist keine Religion. Als buntscheckige philosophische Lehre ist sie im Buddhismus und im Hinduismus beheimatet. Ihr weltweiter Siegeszug (forciert durch den Hindu-Nationalismus der BJP und die Popularität des Dalai Lama, der aber nur einen kleinen Teil des globalen Buddhismus vertritt), der weitreichende Verzerrungen mit sich trägt, ist nicht zu verwechseln mit ihrer gesellschaftlichen Funktion in diesen Teilen der Erde. Buddhismus ist beispielsweise dort tragende gesellschaftliche Säule (Nordindien), wo feudal anmutende Verhältnisse (Lehnswesen) überlebt haben. Verschwinden diese Verhältnisse, verliert auch der Buddhismus an Boden. Differenzierung ist hier sinnvoll.
Martin Küpper