Leserbrief zum Artikel Kommentar: Strategischer Schritt
vom 29.03.2021:
Elegant gelogen
Es ist ein bisschen in Vergessenheit geraten, warum der französische Kaiser Napoleon I. 1812 nach Moskau marschierte: Russland wollte sich dem »kontinentalen«, von Frankreich durchgesetzten Handels- und Finanzboykott gegenüber Großbritannien nicht anschließen. Das kostete es erst mal seine Hauptstadt, die unter französischer Besatzung in Flammen aufging – aber 1814 dann Napoleon I. den Thron. Daran sollte man in den USA denken, bevor man übereilte Entscheidungen gegen die beiden bzw. drei Staaten trifft. Zweifellos werden solche Abkommen zwischen Moskau und Beijing einerseits, Teheran andererseits von Washington mit zähneknirschender Wut beobachtet – quer über alle politischen Lager hinweg. Doch wenn der Westen Afghanistan nun »aufgibt« (es hat ihm nie gehört), also räumen muss, wäre sogar der Weg frei für den Ausbau einer Landverbindung per Straße, Bahn oder Pipeline von Iran durch Nordafghanistan zur chinesischen autonomen Provinz Xinjiang-Uigur. Gegenüber dem Landweg sind aber die US-Flotten östlich, südlich und westlich von Asien »drucklos«. Darum geht es im Grunde ja bei der »neuen Seidenstraße«. Jetzt fahren die Tanker mit iranischem Öl vor dem Bug der US-Kriegsschiffe im Persischen Golf vorbei nach Osten … Darum nun der Propagandafeldzug gegen China »wegen der Unterdrückung der uigurischen Minderheit«. Dass es dabei um nicht um »die Uiguren«, sondern um die geistigen Väter und jugendlichen Ausführenden islamistischer Massaker an Han-Chinesen geht, also einfach um Terrorismus, wird elegant weggelogen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 31.03.2021.