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Leserbrief zum Artikel Soziale Sicherung: Bedingt sozial vom 20.01.2021:

Falsche Scheu vor Grundeinkommen

Meine Wahrnehmung deckt sich mit der von Veronika Wallner. Wie »absichtlich« auch immer das Missverstehen sinnvoller Konzepte für eine bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) sein mag: Die Argumentation, dass auch Spitzenverdiener oder Vermögenseigner das – einheitliche – BGE erhielten (ohne es zu brauchen), ist abgeschmackt und falsch. Sie blendet aus, dass diese bei einer einigermaßen sinnvollen, gerechten und nivellierenden Steuerfinanzierung – ob mit »Take half« oder mit jedem Modell mit angemessener Progression, nicht allerdings mit Götz Werners Verbrauchssteuermodell – je nach Einkommens- oder Vermögenshöhe eben nicht nur auf der einen Seite ihr BGE erhielten, sondern auch auf der anderen drei oder zwanzig oder hundert BGE für andere finanzieren. Dass damit eine Umverteilung in Richtung von mehr Gleichheit statt immer extremerer Spreizung vorläge, ist offensichtlich. Auch kam noch niemand auf die Idee, den Steuerfreibetrag streichen zu wollen, weil der auch für Spitzenverdiener gälte. Dieser wirkt prinzipiell, wenngleich viel zu schwach, in Richtung einer – leichten – Progression und einer – leichten – Nivellierung.
Und wieso meint Genossin Ulrike Eifler, »die Löhne würden sinken«? Nach Marktgesetzen wäre das Gegenteil der Fall. Dann besser Abgesicherte müssten für heute niedrig entlohnte Tätigkeiten besser motiviert werden. Auch der Mindestlohn hat eine positive Spiralwirkung, jeglicher Sozialabbau eine negative (unter anderem durch die Hartz-Gesetze). Löhne sinken, wenn mehr Lohnabhängige um sie konkurrieren müssen, und stiegen tendenziell an, wenn diese solche Konkurrenz durch relativ bessere anderweitige Absicherung relativ weniger nötig hätten. Steuern und Sozialabgaben, die wir perspektivisch nicht nur de facto, sondern auch formal als integrativen Bestandteil der Steuern verstehen sollten, würden bei einem sinnvoll gestalteten Steuersystem zwar im Gesamtvolumen zur BGE-Finanzierung deutlich steigen (müssen), für Lohnabhängige zwischen einfachem und doppeltem BGE-Niveau (beim Take-half-Modell) aber per Saldo sinken (dürfen) und erst oberhalb des doppelten BGE-Niveaus zunächst allmählich, weiter oben progressiv ansteigen (müssen) – wozu eher längerfristig alternativ auch die umfassende Umgestaltung des Steuersystems denkbar wäre: im Extremfall bis zum Komplettersatz der Einkommen- durch eine progressive Vermögensteuer; jedenfalls aber nivellierende Umverteilung in Richtung von mehr (Ergebnis-)Gleichheit.
Bernhard May, Solingen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 29.01.2021.
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