Leserbrief zum Artikel Geschichte Afrikas: Aus dem Weg geräumt
vom 16.01.2021:
Schmerzhafte Erinnerungen
Die bürgerliche Presse in Bremen-Nord kündigte unsere 944. Friedenskundgebung in ihren zwei Zeitungen an. Bemerkenswert auch, dass der ehemalige Leiter des Wollkämmerei-Museums in Bremen-Blumenthal am letzten Freitag mir folgende Mail schrieb: »1961 war ich gerade mal elf Jahre alt und fing an, mich verstärkt für Geschichte zu interessieren. Die Bilder von dem arg geschundenen charismatischen Patrice Lumumba, den man wie ein Tier vorführte, gingen damals um die Welt und sind mir bis heute in bleibender Erinnerung. Schön, dass Du Dich dieses Themas angenommen hast!« Am 3. Mai 1961 spielte der HSV gegen den FC Barcelona in einem dritten Spiel in Brüssel um den Einzug in das Endspiel um den Cup der Landesmeister. Das spannende Spiel schauten wir gemeinsam in einer Wohnung mit acht Menschen; nicht jeder hatte zu dieser Zeit schon einen Fernsehapparat. Vor dem Spiel begrüßten im Brüsseler Heysel-Stadion das belgische Königspaar, Königin Fabiola und König Baudouin I., beide Mannschaften. Handküsschen gaben die spanischen Spieler, das Königspaar war bei bester Laune. Menschen in Bremen-Nord, mitten im Kalten Krieg, lasen täglich Bild. Quick, Bunte und andere königstreue Blätter schilderten begeistert die große Liebe von Fabiola zu ihrem König, hatten nur eine Sorge, dass das belgische Königspaar nicht kinderlos bleiben dürfe. Viele einfache Menschen in Bremen-Nord dachten so, waren total empathisch. Wer wusste es schon, dass der verkommene Großvater von Baudouin, Leopold II., dem das Land Kongo 1885 auf der Berliner Konferenz von Bismarck als Puffer zwischen den großen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien zugeteilt worden war, und dessen Nachfolger, alle aus der »blaublütigen Sippschaft« derer von Sachsen-Coburg und Gotha, eben keine »Genies« waren, sondern eine Bande von Völkermördern und Verbrechern. Nicht nur mit Einverständnis des belgischen Königshauses wurde Lumumba schwer gefoltert und vor seiner Ermordung unter Mitwissen der belgischen Regierung und der USA Regierung von Moise Tschombe massiv beschimpft, geschlagen und bespuckt. Schändlich der Staatsbesuch Moise Tschombes im Dezember 1964 in der Bundesrepublik Deutschland, wo er mit Bundespräsident Heinrich Lübke und anderen hochrangigen Politikern zusammentraf. Demonstriert wurde in Westberlin gegen Tschombe und die Ermordung Patrice Lumumbas. Auch Rudi Dutschke beteiligte sich an den Protesten.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 19.01.2021.