Leserbrief zum Artikel Kommentar: Prozess der Verrohung
vom 08.01.2021:
Doppelte Standards
Im Zusammenhang mit dem Sturm der Trumpisten auf das Kapitol stellt sich mir aufgrund der durchaus gerechtfertigten massenmedialen Resonanz, die dieses »antiparlamentarische« Ereignis hervorgerufen hat, die Frage, wie bisher auf andere Fälle von Parlamentserstürmungen reagiert wurde. Sowohl von den Medien als auch von politisch maßgeblicher Seite wurde beispielsweise der Maidan-Sturm 2014 in Kiew auf die Gebäude von Regierung und Parlament nicht nur mit wohlwollender Sympathie reagiert, sondern aktiv durch die Präsenz und Einmischung namhafter hoher offizieller Regierungsvertreter des Westens (Victoria Nuland/USA, Carl Bildt/Schweden, Guido Westerwelle/BRD und viele mehr) auf dem Platz des Aufruhrs unterstützt. Der zur Flucht gezwungene Ministerpräsident Janukowitsch – immerhin durch demokratische Wahlen legitimiert – wurde wegen seines Versuches, EU und Russland integrations- und handelspolitisch zugunsten der Ukraine zu einem Kompromiss zu veranlassen, gewaltsam gestürzt. Analog unterstützende Positionen in bezug auf den Parlamentssturm in Hongkong durch die sogenannte Demokratiebewegung oder in Georgien kennzeichneten die dominierende Linie der westlichen Medienberichterstattung. Ähnliches gilt für Lateinamerika in Hinblick auf Bolivien oder Venezuela. Die Aktionen westlicher Politik scheinen immer von den »Guten«, also a priori den Demokraten, zu kommen, während die bösen Buhmänner wie üblich im Osten sitzen oder aber zu Antidemokraten deklariert werden. Leider sieht es ähnlich einäugig auch in der Frage der Menschenrechte aus. Wovon – toleriert durch westliche Rechtsstaatlichkeit – in wahrlich unmissverständlicher Weise das von den USA bedrohte Leben Julian Assange ein alarmierendes Signal für alle der Wahrheit verpflichteten Berichterstatter ausgeht.