Leserbrief zum Artikel Kommentar: Prozess der Verrohung
vom 08.01.2021:
Unbegrenzte Möglichkeiten
Nach der Erstürmung des Berliner Reichstagsgebäudes am 30. August vergangenen Jahres mit Reichsflaggen und extrem rechten Losungen sprach Bundespräsident Steinmeier vom Angriff auf »das Herz der Demokratie«. Jetzt stürmten Tausende das Herz der Demokratie der USA, das Kapitol. Vier Menschen verloren dabei ihr Leben. Laut Umfrage heißen 45 Prozent der US-Republikaner den Anschlag auf das Parlament gut. Auffällig die geringe Anzahl von Sicherheitskräften und ihr zögerliches Eingreifen, wie es in den Medien zu sehen war. Jetzt bekommen die USA die Art von Demokratie zurück, die sie anderswo unter der Flagge von Demokratie und Freiheit herbeiführen wollen. Allzusehr ähneln die Washingtoner und Berliner Ereignisse jenen in Belgrad, Tbilissi, Hongkong, Ukraine, Libyen, Belarus oder Syrien. Nun kehren die Farbrevolutionen als Bumerang zurück. Deutsche Politiker distanzieren sich verbal vom Sturm auf das Washingtoner Kapitol, äußern sich jedoch nicht über mögliche Folgen für die transatlantischen Beziehungen. Bleibt also nicht zu hoffen, dass die US-amerikanische und deutsche Politik aufhört, sich in die Angelegenheiten andere Länder einzumischen und ihre Kriege sowie militärische Unterstützung für konterrevolutionäre Gruppen ob in Belarus, Afghanistan, Syrien und anderswo zu beenden. Der Sturm auf ihre Parlamente sollte sie darüber nachdenken lassen.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 12.01.2021.