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Leserbrief zum Artikel Coronakrise: Debatte über neuen Shutdown vom 26.10.2020:

Andere Gesellschaft ist möglich

In Westdeutschland ist der Glaube an Hexen, Teufel und Engel noch sehr verbreitet. Mir ist gut in Erinnerung, wie politische Bildung der 60er Jahre in der DDR darüber berichtete. Unvorstellbar und kaum zu glauben für uns in dieser DDR. Gut ein halbes Jahrhundert weiter hat sich an diesem Zustand eher wenig geändert, wenn wir u. a. an die Querdenker-Szene denken. Worüber muss sich gewundert werden, wenn abenteuerlichste Geister, Verschwörer bis zu Querdenkern oder Impfgegnern, Coronaleugnern usw. gerade jetzt im Aufwind sind, sich lautstark öffentlich machen? Diese Gesellschaft muss fragen, was in ihr faul ist, wie sie seit jeher Menschen in mittelalterlichem Denken zu halten versucht. Diese Gesellschaft muss sich fragen, wie sie Menschen seit Jahrzehnten verdummt, ihnen die großen einst revolutionären Worte von Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechten idealisiert, individualisiert als Willensfreiheit eingehämmert hat. Ist es nicht genau das, was hervortritt? Es dürfte nicht zu gewagt sei, zu behaupten, eine DDR-Gesellschaft vermochte mit angespannten Situationen oftmals organisierter, unaufgeregter und vor allem vom gesellschaftlichen Interesse aller bestimmt und geleitet umzugehen. Es brauchte keine Diktatur, wie die heutigen Ideologen aufschreien, wenn ein Vergleich gezogen wird. Es war ein positives, dialektisches Verständnis von Freiheit, Demokratie, Diktatur und Menschenrechten. Wem sind Aufstände der Impf- oder Abtreibungsgegner in Ausmaßen wie zur Zeit bekannt? Wer erinnert sich an Demos gegen vernünftige Verhaltensmaßnahmen in kritischen Situationen in der DDR? Es brauchte keine Diktatur und Staatsgewalt, wie sie sich heute bis zu den Zähnen bewaffnet in Überzahl präsentiert und Gewalt anwendet. Es genügte oft und meist der ABV als Freund und Helfer.
Solange der Staat DDR es vermochte, nicht aus der Hand gab, der Bevölkerung vernünftig, klar, einheitlich und verständlich zu erklären, anzuordnen, ohne widersprüchliches Gerede zahlloser Erklärer, war die Überlegenheit keine Frage, wie es auch heute andere Länder vormachen. Einmal abgesehen von einer Reihe peinlicher Mängel bei der Sicherung des Menschenrechts auf Gesundheit, Vorsorge und Versorgung ohne ein Diktat privater Profitinteressen. Mit rückwärtsgewandter Rechtfertigung einer Gesellschaft, die noch gescheitert ist, hat das nichts zu tun. Es hat damit zu tun, aufzuzeigen, dass eine andere gesellschaftliche Praxis im Interesse aller möglich ist und sich bereits unter Beweis gestellt hat.
Roland Winkler, Aue
Veröffentlicht in der jungen Welt am 27.10.2020.
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