Leserbrief zum Artikel Tarifverhandlung: Kämpfen lohnt sich
vom 26.10.2020:
Gute Voraussetzungen
Es geht noch was, stellen wir fast schon überrascht fest. Es lohnt sich also, nicht nur »partnerschaftlich« zu betteln, sondern zu fordern, zu streiken und zu kämpfen. Es macht Hoffnung und Mut, muss ausstrahlen über den öffentlichen Dienst hinaus. Noch vor wenigen Wochen war ein führender Linker zu hören, der Streik derzeit für unangemessen fand. Gewerkschafter haben darauf mal eine Antwort gegeben, wie sie an sich von einer Linken an Gewerkschaften zu geben ist. Es versteht sich von selbst: Jede sich bietende günstige Bedingung haben wir zu nutzen, um Druck auf das Kapital auszuüben. Es ist dem Kapital nicht gelungen, im laufenden Tarifstreik die Bevölkerung so in Antigewerkschaftsstimmung zu bringen, dass die Streikenden nach- oder aufgeben. Sicher saß Corona mit am Verhandlungstisch, und ihre großen Töne klingen den sogenannten Arbeitgebern in den Ohren, die Angst steckt ihnen in den Gliedern. Was muss uns das Kapital mit den Worten eines der reichsten Männer der Welt, Warren Buffett, noch mit allem Zynismus zu verstehen geben, der einmal siegesgewiss meinte: »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.« Die Krise des Kapitalismus ist die beste Bedingung, diese »Kriegserklärung« anzunehmen. Viel ist zwar schon verschenkt und verloren, es gibt Spaltungen und Entsolidarisierung. Es ist Zeit. Herrschende Medien sind geradezu voll des Lobes, wenn in Belarus ein Generalstreik ausgerufen werden soll. Warum nicht darüber nachdenken, ob das wirkungsvolle Mittel des politischen und Generalstreiks nicht als Kampfmittel wiederbelebt werden sollte?
Veröffentlicht in der jungen Welt am 27.10.2020.