Leserbrief zum Artikel Aus Leserbriefen an die Redaktion
vom 21.09.2020:
Zum Leserbrief »Wer vertritt Arbeiterinteressen?«
»Mosaikpartei« ist schön gesagt – und beleuchtet nebenbei einen Webfehler der Repräsentativdemokratie, die, soweit sie zur Zufalls»Demokratie« verkommt, nicht von ungefähr berechtigte, erhebliche bis krisenhafte Akzeptanzprobleme hat. – »Maximum« versus »Kompromissvariante«: Da mag ein Unterschied bestehen, ob sich ein Kompromiss in quantitativen Fragen aushandeln lässt oder ob eine Entscheidung zwischen Alternativen anliegt. Angenommen, potentielle halb- oder viertellinke Koalitionspartner barmen um zwei Prozent vom BIP für »Verteidigung« , und wir gehen mit null Prozent in die Verhandlung, so wäre mit einem Prozent nach der Verhandlung beiden Seiten gedient. Aber: NATO-Austritt der BRD oder fortgesetzte Mitgliedschaft in dieser ziemlich kriminellen, unpopulären und »hirntoten« Vereinigung? Da fiele mir so schnell trotz meiner Engelsgeduld kein »Kompromiss« ein: vielleicht eine vierjährige Legislatur noch drin aushalten – wofür die halblinken Koalitionspartner anderswo ordentlich nachgeben müssten! – und zugleich vier Jahre lang betonen, dass die Entscheidung in der folgenden Legislatur anliegt und die Wahl einer Abstimmung darüber gleichkommt. – Mit den »roten Haltelinien« diskutierten wir solche Fragen vor Jahren schon an, und ich erinnere mich eines seltsamen Einwands gegen solche Haltelinien, wir könnten doch »unseren Verhandlungsführern vertrauen«. Können wir das immer? Warum? – »Äußerungen von Personen aus der Führungsriege wie von einfachen Mitgliedern«: Gerade hinsichtlich des Vertrauens in Verhandlungsführungen ist das schon ein Unterschied! Hätte Genosse Dietmar Bartsch seine Verharmlosung von »Bundeswehr«-Einsätzen, der NATO oder des Militarismus, Bellizismus und Imperialismus an einem kleineren Stammtisch ausgesprochen – vielleicht auf der Ostseeinsel Bornholm, was seiner NATO-Verliebtheit entgegenkäme, denn Dänemark ist leider auch noch immer ihr Mitglied –, dann könnten wir ihn mit Achselzucken rechts liegen lassen. Aber als Kovorsitzenden unserer Bundestagsfraktion? Das geht nicht! Wie sollte ich das am Infostand zur Bundestagswahl 2021 relativieren? Und warum sollte ich das? Kompromisse können gut und schön sein: als Verhandlungsergebnis. Kompromisse gehören nicht bereits in die Beschreibung des Istzustands und eben auch nicht in die Zielformulierungen. Vorauseilender Gehorsam ist eher eine feige, eine opportunistische Haltung – und bringt verdammt wenige Stimmen, kostet aber verdammt viele.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.10.2020.