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Leserbrief zum Artikel Sozialstaat: Zu Lasten der Lohnabhängigen vom 10.08.2020:

Alternativen gesucht

Ich kann mich an der Lobhudelei für derartig abfällige Kommentierungen nicht beteiligen. Kurz (auch) kritisch zur MDR-Umfrage: Da ist es schon sehr bezeichnend, dass das Thema »bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE) gemeinsam mit dem Thema Insektenschutz im Header auf gleiche Ebene gestellt wird. Gegen »ernsthafte« Kritik ist nichts einzuwenden. Aber wenn Ralf Krämer sinngemäß schreibt: »Der Gesetzentwurf« von »Experiment Grundeinkommen« sehe aber vor, das Land solle zahlen, und zwar 70 Millionen, und das sei ein absolutes Nogo, solche Experimente seien auch nutzlos, dann erscheint es auch mir als ein absolutes Nogo, nicht zu erwähnen, dass sich diese 70 Millionen Euro nach dem Gesetzentwurf auf acht Haushaltsjahre verteilen! Soweit zu den »immensen Summen«. Auch wenig hilfreich für einen konstruktiven Dialog ist seine persönliche Meinung: »Ein BGE wäre aber nur möglich, wenn dafür bisherige Sozialleistungen entfallen und massiv erhöhte Steuern oder Abgaben das Geld reinholen würden, das auf der anderen Seite ausgeschüttet werden soll.« Warum sollte beispielsweise die Sozialleistung »Wohngeld« als wichtiges reformbedürftiges Korrektiv wegfallen? Und besonders beschämend ist der Abschluss: »Wegen der immensen Summen, die umverteilt werden müssten, wäre es ökonomisch unmöglich, diese hauptsächlich zu Lasten des Kapitals und der Reichen aufzubringen. Im Gegenteil wäre zu befürchten: Das Kapital könnte ein BGE zu verschärfter Lohndrückerei, gegen Arbeitnehmerrechte und Tarifverträge und gegen den Sozialstaat nutzen. Die Forderung nach einem BGE erweist sich damit als eine gefährliche Fehlorientierung. Für ein soziales BGE gibt es weder eine ökonomische noch eine soziale und politische Basis.« Ein derartiges Statement würde ich vom BDI oder der BDA und parteipolitisch von der CDU, FDP und AfD erwarten, aber gewiss nicht von jemandem, der bei Verdi den Posten eines Gewerkschafts»sekretärs« besetzt und – schlimm genug – dann auch noch im Parteivorstand darauf achtet, dass im Arbeiter-und-Bauern-Staat nix nach links aus dem Ruder läuft. Aber vielleicht sind derartige Meinungsbekundungen auch lediglich als zukünftige Referenznachweise zu bewerten.
Allerdings hat Krämer in einem Punkt recht: Wenn unter dem Deckmantel des 2. Corona-Steuerhilfegesetzes die Milliardendeals des »Cum-Ex«-Geschäftsmodells durch den Gesetzgeber für unantastbar erklärt werden, dann ist es nicht nur um die ökonomische Basis schlecht bestellt, sondern auch um den demokratischen Rechtsstaat – von den Wahrnehmungsdefiziten (klingt doch besser als überbezahlte Schlafmützen/Penner/Steigbügelhalter) in unseren repräsentativen Parlamenten abgesehen!
Vorsorglich bitte ich um Entschuldigung für meinen scharfen Unterton. Doch vor dem Hintergrund der Umbrüche auf dem Arbeits»markt« benötigen wir dringender als je zuvor konstruktive Vorschläge für Übergangsmodelle statt einer regressiven Verweigerungshaltung, vor der nur die Vermögenden und Reichen profitieren.
Thomas Rudek
Veröffentlicht in der jungen Welt am 11.08.2020.
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