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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel jW-Wochenendgeschichte: Gegen Prosa vom 25.07.2020:

Horizonterweiterung

Da kommt jemand aus dem Westen, der auch in Leipzig studiert hat am Literaturinstitut, das mal den Namen Johannes R. Becher trug, und führt erhaben weitsichtig das Wesen hinter einer filmisch gleichnishaften Erscheinung der Prosa an, weitet den Horizont, der nötig ist für die Dramatik, und stellt die konkrete Frage nach dem Ende des Kapitalismus. Was Jan Decker zur Prosa schreibt und nicht nur zur Prosa, denn er sieht den gesellschaftlichen Zusammenhang, das Ganze in seiner Widersprüchlichkeit, hat substantielles Gewicht. Für mich als Laien, der sich im Alter hobbymäßig dem lyrischen Schreiben seit nunmehr 20 Jahren verpflichtet fühlt, weil mir die Prosa auch zu anstrengend in ihrer verschachtelnden Weitschweifigkeit ist, wirkt das Urteil Deckers wie eine scharf in Stein gemeißelte Statue gegen die Trümmerlandschaft von Bestsellern der letzten dreißig Jahre. Das Leseland DDR kannte dagegen Qualitäten, die nur zum Teil von Peter Sodann gerettet werden konnten – aber immerhin. Ja, die hedonistische Depression ist Ausdruck des kulturellen Zerfalls, der sich aus der kapitalistischen Produktionsweise rekrutiert. Wir haben es heute mit einer geistigen Gefangenschaft zu tun, die existentiell untrennbar durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln mit dem ihm verknüpften Profitstreben hervorsticht. Decker besinnt sich auf das fortschrittliche Erbe Heinrich Manns, von Leonhard Frank, Brecht, Peter Hacks und Peter Handke. DDR-Autoren wie Anna Seghers, Erwin Strittmatter … oder eben Johannes R. Becher, könnte man hinzufügen. Alles, was tragend realistisch bleibt.
E. Rasmus