Leserbrief zum Artikel Das Ende der DDR: Rücksichtslose Eile
vom 03.08.2020:
Ideeller Gesamtkapitalist
Der jüngste Beitrag von Jörg Roesler geht u. a. auch darauf ein, dass die westdeutschen Unternehmer, bis auf Ausnahmen, keinerlei Interesse hatten, mildernde Bedingungen für die Wirtschaft der DDR bei ihrem Übergang in den Kapitalismus zu schaffen. Hätten wir etwas anderes erwarten können und warum? Die Zwänge der kapitalistischen Produktionsweise, denen auch der einzelne Kapitalist unterliegt, waren doch nicht unwirksam, nur weil eine sozialistische Wirtschaft zu privatisieren war. Ebenso wie im im SPD-SED- Papier von 1987 der Imperialismus plötzlich friedensfähig wurde, hoffte man auf ein freundliches Gesicht gegenüber der DDR-Wirtschaft. Beides im Widerspruch zur historischen Erfahrung. Die DDR war ein reich gedeckter Tisch zur Profitmaximierung durch wohlfeilen Grund und Boden, den DDR-Absatzmarkt im In- und Ausland zum Nulltarif und durch eine hochqualifizierte industrielle Reservearmee der arbeitslos zu machenden Werktätigen. Wirtschaftsverbrechen waren dabei nicht ganz vermeidbar, und vorsorglich gewährte man eine »Haftungsfreistellung für Fahrlässigkeiten« von Managern. Die »Treuhand« als Staatsorgan musste dabei gewissermaßen als »ideeller Gesamtkapitalist« die Interessen des Staates mit dem Kapital harmonisieren. Mit Hilfe des vor 120 Jahren im deutschen Kaiserreich in Kraft gesetzten »Handelsgesetzbuches«, gedacht als handelsrechtliches Regelwerk für den Einzelkaufmann, wurde die gesamte Volkswirtschaft der DDR abgewickelt. Die von den DDR-Betrieben bezahlten Wirtschaftsprüfer konnten in subjektiver Entscheidung die Vermögenswerte der geprüften Objekte abwerten. Eine Endabrechnung der DDR-Wirtschaft nach ihren Mark-Schlussbilanzen und DM-Eröffnungsbilanzen ist nie veröffentlicht worden, denn dann hätte der bilanzierte ungeheure Wertverlust begründet werden müssen. Dafür setzte man die medialen Verleumdungen über den Zustand der DDR-Wirtschaft in Umlauf, denen sogar die Bundesbank widersprach.