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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Armutspolitik in der BRD: Nach Feierabend zum Jobcenter vom 14.07.2020:

Nicht nur Forderungen

Armut kommt selten als soziales Problem des Kapitalismus, medial wie in offizieller Politik, vor. Wo nicht zu verbergen, dort müssen der Fehler, Ursache und Schuld bei den Betroffenen gesucht und gefunden werden. Welche Partei, welche Politiker nennen es noch beim Namen, sprechen den Grundwiderspruch dieser Gesellschaft noch an, den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, Profitprinzip und notwendigem Klassenkampf für und um eine menschenwürdige Existenz? Wer kann heute diese Tatsache noch verleugnen angesichts der sozialen Entwicklungen seit Jahrzehnten? Wer vermag der verheerenden, selbstaufgebenden Sozialpaktpolitik in Fragen Armut und Reichtum noch beste Bilanz zuschreiben? Noch ist es Sabine Zimmermann, die im Bundestag oder in ihren Publikationen die Ursachen mit klaren Worten ausspricht, nichts verwässert an dem unsozialen System. Warum sind es nur so wenige Linke, die soziale Skandale immer wieder mit angeforderten unabweisbaren Zahlen und Fakten öffentlich macht, laut in Kritik setzt? Je dreister das System seine absolute und relative Ausbeutung betreibt, um so verhaltener, sozialpartnerschaftlicher scheint linke Mitgestaltung zu werden. Ist das nur falsches Empfinden? Wenn zu lesen ist, dass eine Million arbeitender Menschen am Ende noch »aufstockt«, heißt betteln muss für ärmlichste Existenz und in der Öffentlichkeit noch Diffamierung erfährt, dann bräuchte es andere , gewaltigere – und warum nicht gewaltsamev? – Kritik. Das kapitalistische System lässt sich nicht wegwinken, zu Solidarität oder Einsicht bringen. Höherer Mindestlohn muss gefordert werden, vielleicht muss ein Grundeinkommen auf allen Ebenen, Mindesteinkommen und Existenzsicherung für alle ganz unten, eingefordert werden. Bei den Forderungen ist es Jahrzehnte belassen worden, mit dem Ergebnis, dass wir als gewaltige Erfolge für uns das feiern, was die Klasse des Kapitals nur einem gewissen sozialen Frieden noch zugesteht. Wer mit bedingungslosem Grundeinkommen unter kapitalistischen Bedingungen der Ausbeutung und des Klassenkonfliktes in sozialen Träumen schwelgt, den Kapitalismus ein wenig besser machen und das mitgestalten will, der ist nicht einmal mehr ein naiver Träumer, zumal die Systemparteien die linke Mitgestaltung nie brauchen werden, wo selbst Grüne sich schon rückversichernd den Schwarzen anbiedern.
Roland Winkler, Aue
Veröffentlicht in der jungen Welt am 23.07.2020.