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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Gedenktag für Drogentote: Wie ein Flugzeugabsturz jeden Tag vom 21.07.2020:

Ohne Illusionen

Neben Arnold Schölzel ist Markus Bernhardt der produktivste Journalist der Linken – ohne ihn würde man einen Darkroom bei der UZ bis heute für einen Raum halten, in dem Fotos entwickelt werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Als die »Eilmeldung« – bzw. digitale Ergänzungsmeldung »Heinrich Fink gestorben« der jW neulich kam (die unzulässigerweise von einer – weil trivialen – anderen »Laufbandmeldung« abgelöst wurde, schon nach wenigen Stunden allerdings …), reagierte ich sofort und umfassend, aber: meinen Freund bei der UZ informierte ich erst verspätet, weil ich da blockiert bin – meine »heiße« Zentrale ist die jW, die UZ ist mir eher Gruft – dennoch besann ich mich und informierte Freund Daniel. Der meldete rück, er vernahm, bei der UZ habe man niemanden, der einen Nachruf für Fink schreiben könne wohl. Ich war bestürzt. Als jW (die digitale Ergänzungsmeldung »Heinrich Fink gestorben« enthielt nicht den Zusatz »Nachruf bzw. ausführlicher Nachruf folgt«, was mich beruhigt hätte) gefühlt ewig nicht mit einem Nachruf für Fink rüberkam (eine zweite evangelische DDR-Theologin war vorher zu würdigen, da, anders als bei Fink, mit Angabe von Ort und Zeit der Trauerfeier …), war ich entsetzt – hatte Fink sich mit jW final zerstritten? Wollte man es nach der ausführlichen Würdigung seines 85. Geburtstages Anfang April in jW bei dieser belassen, keinen Nachruf mehr folgen lassen? Oder verschwieg man Fink, um in der Auseinandersetzung um den Entzug der VVN-Gemeinnützigkeit bewusst keine Munition für die Reaktion zu liefern, der VVN Vorliebe für Linksextremes nachzuweisen? War die jW-Redaktion schon so verjüngt, dass Heinrich Fink allenfalls noch ein Nachruffall für den Rotfuchs war? Dann kam am Tage 7 der Nachruf vom jW-Seniorchef selbst (»einer der gütigsten Menschen unter der Sonne« [!]), und die UZ hatte die Meldung doch auf der Titelseite mit Foto und Verweis auf den digitalen Nachruf von – Markus Bernhardt. Selten hat mich jemand innerlich so gerettet wie Markus Bernhardt mit seiner Fleißarbeit (wie Schölzel arbeitet er drei Schichten) – mir war schon nach Erschießen, ehrlich gesagt, ein Schweigen oder Verreißen von Fink hätte ich jedenfalls seelisch nicht verwunden. Auch die NSU-Scheiße vor Ort hier (weiter virulent übrigens) hätte ich ohne Bernhardt nicht oder wesentlich schlechter bewältigt bekommen, wobei ich sie nicht wirklich bewältigt bekomme aus Scham, weil die unterste Schicht (mithin meine Klasse) hier tatsächlich mehr als Unterstützung leistete (einige davon sind zwischenzeitlich richtiggehend verreckt). Ich wollte Bernhardt immer vor Ort haben, aber das geht nicht, weil: Das können wir unserem Doktor hier nicht antun – ist hier sein Revier, es kann nur einen geben. Die Themenseite zum heutigen Gedenktag von Markus Bernhardt aber kann ich nicht an die Szene weitergeben – Markus macht den Steffen Seibert, ist zu staatsaffin, dass Sozialarbeiter zu Bullen werden, heißt eben nicht, dass Bullen zu Sozialarbeiter werden. Ich weiß, Bernhardt versucht Realpolitik, um wenigstens die allerkleinste Verbesserung für die Betroffenen rauszuholen endlich, denen mit linksradikaler Pseudoattidüte in Art der Achtziger eben nicht geholfen ist – ich weiß das, muss aber sagen: Bislang stand Markus Bernhardt bei mir im Verdacht immer auch, »mächtige Männer« (Interview mit Bodo Ramelow vor Jahren und mit Rico Gebhardt oder wie der Vogel aus Sachsen heißt) zu mögen und vielleicht auch solche in Uniform – jetzt aber trägt er selbst schon Uniform – bzw. macht den Seibert. Jedenfalls institutionalisiert er sich wie seine Sozialarbeiterkollegen (im Amt seit einem Vierteljahrhundert …) zusehends. Das ist das Alter, aber nicht nur – das ist mir zu gelackt, Vorsicht, Genosse Markus Bernhardt, der Preis, den Du zahlst, bist Du selbst! Die FDP ist kein Bündnispartner, selbst die Partei Die Linke ist es nicht wirklich und die Polizei nie und nimmer! Ohne es zu wollen, würdest du deine Rolle spielen bei der ästhetisierenden Faschisierung unserer Tage! Mein Film ist es aber auch nicht, nicht nur Bernd Riexinger ist, wie die Süddeutsche laut jW richtig spottete, »allenfalls eine Karikatur eines Wolfes im Schafspelz«, auch ich bin nur ein Hühnchen, Illusionen habe ich da null.
(...) Ich gehe jetzt Blumen niederlegen am Gedenkstein für die Drogentoten. Die Linkspartei involviere ich bewusst nicht, die sind nicht sozial, sondern – egal. Ich gucke, ob Rechte am Gedenken teilnehmen. Problem: Politisiert sich die Szene auch nur irgend, geht das zwangsläufig nach rechts, kann gar nicht anders sein, links findet nur noch als Boheme statt. (...)
P. S.: Im »Handbuch der Rauschdrogen« (uralt) stand eingangs ein Wort von, ich glaube, Nazim Hikmet: »Die Wachen haben eine einzige gemeinsame Welt – von den Schlafenden aber wendet sich ein jeder seiner eigenen zu.«
Ronald Brunkhorst, Kassel
Veröffentlicht in der jungen Welt am 22.07.2020.