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Leserbrief zum Artikel Debatte über Antisemitismus: »Da versagt sie leider kläglich« vom 25.04.2020:

Für den Fortschritt kämpfen

Der Beitrag ist sehr interessant. Viele Personen haben auch jüdische Wurzeln (Marx, der auf Distanz zum aufkommenden Zionismus ging – ob die heutige israelische Führung wirklich zionistisch ist, ist eine sehr offene Frage –, auch meine Person hat jüdische Wurzeln). Ich hasse das Wort Antisemitismus, da die Juden nur eine kleine Minderheit der Semiten sind. Die große Mehrheit der Semiten sind Araber. Es sollte Antijudaismus heißen. Wer sind die Juden? Ein Volk? Exakter wäre wohl, die Juden als Glaubensgemeinschaft, die aus dem mittlerweile in verschiedenen anderen Völkern aufgegangenen jüdischen Volk des Altertums abstammt, zu definieren. Es gibt kein Volk der Juden mehr! Die Juden wurden im Mittelalter – auch das grenzt schon an geistige Umnachtung – als Volk des Judas verfolgt. Dass der täglich mehrfach angebetete Jesus auch ein Jude war, wurde weggewischt. Die christlichen Eliten brauchten einen Sündenbock für alle Geißeln der Menschheit. Und dazu erkor man das Volk des Judas und des Jesus. Der Antijudaismus war ein Produkt der christlichen Kirche, die aus der jüdischen Religion hervorging. Sozusagen ein Vater-Sohn/Tochter-Konflikt.
Dann muss man einen Punkt erwähnen, den die Nazis geschickt inszenierten. Die Nazis waren immer sehr knapp bei Kasse und sahen das jüdische Vermögen in Europa als sehr wichtige Finanzquelle für sich.
Die Juden wurden im Mittelalter extrem limitiert. Diese Religionsgemeinschaft hatte zwei große Stärken: a) die hohe Bildung, b) mangels beruflicher Alternativen begab man sich frühzeitig ins »schmutzige« Finanzgeschäft.
Und jetzt komme ich auf einen Punkt, den man als Linker ja nicht nennen darf: Die jüdische Präsenz an der Wall Street ist sehr hoch. Aber ein großer Teil der Juden in den USA sieht die aggressive Politik des Staates Israel sehr kritisch. Die amerikanischen Juden sollte man ja nicht auf die Wall Street verkürzen. Auch bei den amerikanischen Juden ist die Gruppe derer, die einen erheblichen Anteil am amerikanischen Finanzkapital bilden, eine sehr kleine Minderheit von höchstens fünf Prozent.
Ist man als Jude dem Staat Israel – einem rassistischen Staat – verpflichtet? Viele jüdischstämmige Mitglieder der Partei Die Linke meinen, das positiv beantworten zu müssen.
Ich meine, dass man als jüdischstämmiger Mensch dem gesellschaftlichen Fortschritt und den breiten Massen der Werktätigen, egal, welchen nationalen Ursprung die jeweils haben, verpflichtet ist und nichts anderem! Mir steht ein chinesischer Kommunist wesentlich näher als ein jüdischer Siedler, der tagtäglich palästinensische Araber schikaniert. Was habe ich mit so einem Flegel aus der Steinzeit gemein? Nichts!
Ich glaube auch nicht an diese alte Religion. Ich glaube an überhaupt keine Religion. Ich glaube an die Menschen, die für den gesellschaftlichen Fortschritt kämpfen und in diesem Kampf alles geben!
Achim Lippmann, Shenzen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 28.04.2020.