Leserbrief zum Artikel Coronakrise: EU in der Krise
vom 02.04.2020:
Verantwortung und Solidarität
»Während das ganze Land zusammenrückt, verschließen sich manche ihrer politischen Verantwortung«, heißt es auch im »Zitat des des Tages«. Schnell finden sich diejenigen, die ehrliche Gefühle, Empfindungen politisch missbrauchen und es fertigbringen, einen solidarischen, gerechten Vorschlag in sein Gegenteil zu verkehren. Eine »Coronaabgabe« der Millionärs- und Milliardärsklasse wäre immer »unsolidarisch« nach Kapitalverstand, wie bekannt sein sollte. Mit Vernunft, Realitätssinn sind solche Gedanken nie in Betracht gezogen worden. Stereotyp der Vorwurf der Neiddebatte. Was dahinter an realem, ins unermessliche gesteigerten Reichtum einer immer kleineren Schicht verborgen ist, dazu gab es nie plausible Erklärung. Es sind jene, die ihren neoliberalen Privatisierungswahn viele Jahre betrieben haben. Es sind jene, die Menschenrechte, Gesundheit, Pflege, Rente, Wohnen, öffentliche Güter ihrem Profit untergeordnet haben und nun »Verantwortung«, »Wir«-Gefühl entdecken. Nächstliegend ist also zu fragen, wer die jetzige Situation zu verantworten hat, schuldig daran ist. Wer Gerechtigkeit in den Mund nimmt, damit moralisierend belehrt, der muss die bestehende himmelschreiende Ungerechtigkeit sehen, was mit Zusammenrücken nicht aufgehoben ist. Den dümmsten »Neiddebatte«-Schreiern und »Wir«-Gefühls-Mahnern sollten SPD, Gewerkschaften, Linke und Aufsteher den demagogischen Weisheitszahn ziehen. Gerechtigkeit definieren und klar darstellen, was wirklich unter großen Vermögen zu verstehen ist, wer sie sind, wie sie dazu kamen, was ihr eigner Anteil daran ist, bis dahin, wie sie für Krisen Verantwortung tragen. Klar sagen, wir meinen nicht Omas Häuschen, nicht den Bäcker, Fleischer, Friseur, Handwerker, Gastwirt, Landwirt, die von eigner Arbeit leben, weitgehend proletarisiert sind. Reden wir von Großvermögen, die gefördert, entlastet, subventioniert werden, von kriminellen Geschäftemachern, »Cum-Ex«- Gaunern, Steuerbetrügern, -oasen, Spekulanten, »Kuponschneidern« u. a. Vermögen, die gesellschaftlich überflüssig sind und nur Bereicherungsinvestitionen dienen. Wo und wem gilt unsere Solidarität, was auch so auszusprechen ist?
Veröffentlicht in der jungen Welt am 03.04.2020.