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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Volksrepublik China: Aufatmen in Wuhan vom 23.03.2020:

Das Grundproblem heißt Kapitalismus

China hat offenbar Erfolg bei der Bekämpfung. Schon damit tut sich unsere Politik schwer. Ideologisch fällt es schwer, das anzuerkennen. Vor wenigen Wochen wurde an China noch alles verurteilt, dort gebe es nur Unfreiheit, Diktatur und Zwang, und das sei unvereinbar mit uns. Die großen Töne sind leiser geworden. Sogenannte China-Experten dürfen zwar immer noch in den Talkrunden das Schreckensbild China als willkommenen Kontrast zum deutschen Elend ausmalen. Peinlich und beschämend ist dabei, dass gerade vermeldet wird, der Landrat von Heinsberg habe China um Hilfe gebeten. Im Kampf gegen einen unbekannten Feind kommt es überall zu Fehlern, dabei ist Verständnis angebracht, keine Häme. Für uns wird die Frage wichtiger sein als für die Chinesen: Was lernt die Politik aus dieser Virenkrise? Allen Anzeichen nach wenig bis nichts. Darüber, wer das Gesundheitswesen wie zusammengespart und dem Profit geopfert hat, wird nicht getalkt. Es ist also kaum zu erwarten, dass diese verheerende Privatisierung zurückgefahren wird. Die Beschwörung eines Wir-Gefühls mit Kerzenlicht und Balkonmusik kann keine Hilfe für die Schwächsten, Ärmsten und Bedürftigsten im Lande ersetzen. Obdachlose, Tafel-Kunden, Flaschensammler, Leih- und Zeitarbeiter, Hartz-IV-Bezieher usw., die kommen in den besorgten Reden kaum vor. Milliarden für die Wirtschaft, allenfalls Mittelständische haben noch eine Lobby. Lohnabhängigen ist Kurzarbeitergeld zugesagt. und es wird gewerkschaftlichen Druck brauchen, um dieses angemessen und für einen großen Kreis Betroffener zu erkämpfen. Alle großen Sprüche zu den Rettungsschirmen lassen eher vermuten, dass mit Milliarden Euro Verluste der Konzerne ausgeglichen werden sollen, statt das Gesundheitswesen und die öffentliche Daseinsfürsorge krisenfest wiederaufzubauen. Das Prinzip »Privat vor Staat« wird kurz ausgesetzt, wir zahlen, damit Profite wieder privatisiert werden können und Märkte sich selbst regeln, wie Preisentwicklungen zeigen. Am Grundproblem Kapitalismus wird sich in diesem Lande jedoch nichts ändern, solange nicht immer mehr begreifen und spüren, was eine Wir-Gesellschaft wirklich ausmacht.
Roland Winkler, Aue
Veröffentlicht in der jungen Welt am 24.03.2020.