Leserbrief zum Artikel Angriffe auf Shishabar und Café: Mörderischer Rassenwahn
vom 21.02.2020:
Fremdenfeindlichkeit als Folge der Kapitallogik
Der latente, aber noch nicht offiziell zur Doktrin erhobene Antisemitismus Anfang der dreißiger Jahre hätte sich ohne die damals schon intensiv genutzte propagandistische Beeinflussung durch die Medien nicht so schnell in der Bevölkerung durchsetzen können. Heute sind sogenannte »Normalbürger« durch faschistische Internetuser sowie durch Printmedien und Videos, auch durch Fernsehberichte so sehr beeinflusst, um nicht zu sagen »verhetzt«, dass selbst bislang besonnen urteilende Menschen in den Chor eines allgemein rassistischen Mainstreams einfallen. So sagte mir kürzlich eine Nachbarin, man dürfe doch auch vor rassistischen Ausländern die Augen nicht verschließen, die habe sie selbst erlebt, zum Totschlag oder Mord dürfe es natürlich nicht kommen. Nicht nur faschistische Statements von AfD-Politikern tragen dazu bei, »Fremde« und »Undeutsche« abzulehnen, auch die Flüchtlingspolitik der EU verstärkt die Fremdenfeindlichkeit. Hieß es einst »Das Boot ist voll!«, so überlässt man inzwischen Flüchtlinge auf dem Meer erbarmungslos ihrem Schicksal oder bringt sie dahin zurück, wo sie in überfüllten Lagern gefoltert werden oder dahinvegetieren. Nicht Fluchtursachen werden bekämpft, sondern Flüchtende. Eine Kanzlerin, deren Afrikareise nur dem Profit der deutschen Industrie und Wirtschaft dient und deren Reaktion auf ein rassistisches Massaker sich in Empörung und Bedauern erschöpft, brauchen die Bürger der BRD nicht. Solange der koloniale Westen weiter die sogenannten Entwicklungsländer ausplündert und Afrika nur als Basis für westliche Märkte nutzt, werden die Fluchtursachen sich verstärken. China verhält sich da anders. »Fremdenfeindlichkeit ist letztlich eine Folge der Kapitallogik«, sagt Daniela Dahn in ihrem Buch »Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute«. Kapitalismus erzeugt nicht nur Faschismus, sondern etabliert ihn.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 29.02.2020.