Leserbrief zum Artikel Kommentar: Den Westen überholt
vom 30.12.2019:
Kein Grund zum Jubeln
Bitte passt auf, dass Ihr Euch nicht von der aufkeimenden Sprache des kalten Krieges verleiten lasst: »Das hat gesessen«, »Die Nuss ist härter geworden« usw. Es war wohl für Russland folgerichtig, eine neue weitreichende Waffe zu entwickeln. Gründe und Vorgeschichte werden in dem Kommentar durchaus sachlich dargestellt. Aber ein neuer Rüstungsschub, warum und von wem auch immer, ist kein Grund zum Jubeln. Die Sprache eines linken Mediums sollte dazu beitragen, die scheinbare Unvermeidlichkeit der verhängnisvollen Spirale zu widerlegen. Die NATO wird, wie bekannt, ebenfalls nachziehen, es geht munter weiter, bis wohin, das wissen wir nicht. Als einer der Älteren erinnere ich mich, dass die Menschheit der Vernunft offenbar schon mal näher gekommen war. Der sogenannte Brundtland-Bericht von 1988, veranlasst von der UNO und benannt nach der damaligen Ministerpräsidentin Norwegens, war betitelt »Unsere gemeinsame Zukunft«. Welch eine Vision – und wie weit sind wir von dieser heute wieder entfernt! Die Menschheit schien sich damals auf ihren einzig möglichen Weg besonnen gehabt zu haben, den der Verständigung und gemeinsamen Verantwortung. Auch die Sprache begab sich in moderatere Bahnen. Dreißig Jahre globaler Kapitalismus stellen das zunehmend in Frage. Dennoch: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Fragt die Jemeniten, die Afghanen, die Syrer, die Iraker ...
Veröffentlicht in der jungen Welt am 03.01.2020.