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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Putsch in Bolivien: Bis sie zurückgetreten sind! vom 22.11.2019:

Weitere Kämpfe notwendig

Der Beitrag gibt eine treffende Zustandsschilderung, aber analytisch bleibt er blass. Vor allem wird nur zart – mit dem Hinweis auf eine »weiße Elite« – angedeutet, dass es auch eine starke ethno-nationale Konfliktlinie gibt. In El Alto, La Paz, dem gesamten Altiplano (Hochland) und den Randgebieten der Anden dominieren die beiden großen Indigena-Völker Quechua und Aymara. Doch die meist bessergestellten vorwiegend weißen bzw. »kreolischen« Arbeiter, die sich »von Evo Morales betrogen« fühl(t)en und deshalb die schillernde »Comunidad Ciudadana« wählten, weil darin doch der »Frente Revolucionario de Izquierda« (die pseudo-»Revolutionäre Linksfront«) tonagebend sei, werden bald wahrnehmen, dass der angeblich durch Betrug verhinderte Wahlsieg von Carlos Mesa durch den Putsch ja überhaupt nicht »korrigiert« worden ist. Carlos Mesa und seine Leute bleiben weiter außen vor bei der Postenvergabe! Damit wären sie dann zum zweiten Mal betrogen worden.

Vertreter der weit abgeschlagenen evangelikalen Fundamentalisten (zehn Prozent der Stimmen) und der Bewegung »21F« des Putschisten Camacho aus Santa Cruz (mit genau einem Senator von 36) sowie »Demokraten« aus Beni (dem Departamento, aus dem Frau Áñez stammt, wo im übrigen die Stimmenzahl für die MAS höher war als die für die CC) sind nun mit Tricks und Drohungen von Polizei und Militär – samt einigen »Payasos« aus den beiden großen Völkern der Quechua und Aymara – an die Macht gehievt worden! Wie lange wird die armen Wähler der CC die Lüge vom »großen Wahlbetrug« ablenken vom Kampf für die eigenen Interessen?

Und vielleicht denken sie mal nach: Welcher echte Wahlfälscher der »Masistas« würde wohl »herausarbeiten«, dass die drei Oppositionsparteien zusammen mehr Stimmen bekommen haben
(49 Prozent) als die eigene Partei (mit 47 Prozent). Aber das Wahlgesetz – gegen das niemand je protestiert hat! – sorgte am 20. Oktober mit seinem Direktwahlverfahren für die meisten Abgeordneten, ohne Ausgleichsmandate wie hierzulande, dafür, dass auch in den neu gewählten Parlamentskammern, Senat und Abgeordnetenhaus, die am 20. Januar ihre Amtshandlungen aufnehmen müssten, die »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) solide Mehrheiten hat.
Was den Putschisten natürlich gar nicht passt. Deshalb ihre Anstrengungen, um den Schein zu wahren, bis zum 19. Januar Neuwahlen »zu ihren Bedingungen« durchzuführen – zugleich aber durch größte möglichst blutige Härte gegen die protestierenden Massen der Indigenen zu zeigen, wer wirklich die Macht im Staate hat (so dass sich eine Wahlatmosphäre des Schreckens ergibt, etwa wie 1919 in Deutschland bei den Wahlen zur »Weimarer« Nationalversammlung).

»Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht.« Wie denn auch, solange es nicht zu einer Verständigung MAS – CC kommt und sich die Putschisten darüber ins Fäustchen lachen. Aber dazu müssten als erstes Frau Áñez und ihr Kabinett zurücktreten, vorher die Armee in die Kasernen zurückkehren, die Polizei ihren Dienst korrekt verrichten (einschließlich der Achtung der fundamentalen Menschenrechte auch bei Indígenas), und dann müsste die »Putsch-Lady« einer solchen Kompromissregierung weichen, die entweder bis zu Neuwahlen amtiert – auch ohne Evo und Álvaro García Linera will die MAS den Kampf bis zum Sieg führen – oder die Ergebnisse des 20. Oktober anerkennt. Ohne weitere Kämpfe, weiteren »Aufruhr« wird es dazu aber wohl nicht kommen.
Volker Wirth, Berlin