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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel 1989/90: Ein Volk, ein Staat vom 23.11.2019:

War nicht zu übersehen

Vor allem zwei Aspekte fehlen in dieser Abhandlung, die Modrow eigentlich hätten zu denken geben müssen. Erstens: Nach Gesprächen mit Gorbatschow am 1. Februar 1990 in Moskau unterbreitete Modrow sein Konzept »Deutschland einig Vaterland«, mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde. Vor seiner Abreise nach Moskau musste Modrow ein Artikel von Eduard Schewardnadse in der Iswestija vom 18. Januar bekannt gewesen sein: »Europa – von der Spaltung zur Einheit«. Darin ordnete der sowjetische Außenminister die »deutsche Frage« und die »Reformprozesse in Osteuropa« in den Zusammenhang eines sich einigenden Europa ein. Aus den Berichten über Modrows Gespräche ging damals mit keinem Wort hervor, ob die darin aufgeworfenen Fragen erörtert wurden, die zur Aufkündigung der mit der DDR abgesprochenen Vertragsgemeinschaft durch Kohl führten (siehe Eberhard Czichon/Heinz Marohn: Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf, Papyrossa, Köln 1999, S. 345). Aus den Ausführungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau, Gerd König, ging hervor, dass Modrow damit wohl der Linie Gorbatschows folgte, die Politbüro-Mitglied Jakowlew so formuliert hatte: »Es wäre gut, wenn Modrow mit einem Programm der Wiedervereinigung auftreten würde« (Gerd König: Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Fiasko eines Bruderbundes. Berlin 2010, S. 394). Modrow selbst äußerte dazu später: »Kohl behauptet, er habe den Schlüssel zur Einheit aus Moskaus geholt. Wenn das so sein soll, dann habe ich den Schlüssel gefeilt!« (In: Keine Zeit für Illusionen. Karl-Heinz Arnold: Mit Hans Modrow erlebt: Das vorletzte Kapitel der DDR-Geschichte. Wochenpost Nr. 38/1990).

Zweitens: Noch bevor Modrow nach Moskau flog, hatte die FAZ am 10. Januar 1990 geschrieben, dass in Bonn (der für seine Putschpraxis mit Faschisten, so in Italien und Chile bekannte) CIA-General Vernon Walters als Botschafter das Kommando übernehme, um »die letzte Ölung zu geben, bevor der Patient (die DDR) stirbt«, oder anderes ausgedrückt, »dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen« (siehe auch Klaus Eichner/Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon Walters – Ein Geheimdienstgeneral des kalten Krieges. Berlin 2005). Zu seiner Unterstützung hatte US-Präsident Bush sen. eine »European Strategy Steering Group« unter Leitung von Vize-Sicherheitschef Robert Gates gebildet, der in Bonn durchsetzte, der DDR »jede wirtschaftliche Unterstützung zu verweigern, bis tiefgreifende politische Reformen eingeleitet« seien. Entweder entgingen Modrow derartige Berichte oder er unterschätzte die Brisanz dieser Gefahr.

Zur Einschätzung der Lage in der SED/PDS sollte hier noch erwähnt werden, dass Gregor Gysi sich fast zeitgleich zu Gesprächen mit Gorbatschow in Moskau befand, danach nach Rom reiste, um bei Achille Occhetto, dem letzten IKP-Generalsekretär, Erfahrungen bei der vor sich gehenden Liquidierung der IKP durch ihre unter der Losung der »Heimkehr zur Sozialdemokratie« erfolgende Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei PDS zu studieren. Was Grundlage der von ihm eingeschlagenen Umwandlung der SED in eine ebensolche sozialdemokratisch orientierte PDS, später Die Linke, wurde.
Hellmuth Landau