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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Israelische Kriegsführung: Gezieltes Ausschalten vom 13.11.2019:

Im Namen der Menschlichkeit

Als während der Bühnenshow zum 30. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin für kurze Zeit der Schriftzug »Schluss mit der Besetzung« auf hebräisch auftauchte, reagierte der israelische Botschafter laut Bild empört: Er nannte es eine Schande, dass hier eine Feier »für politische Zwecke instrumentalisiert« worden sei. Kultursenator Klaus Lederer von der Partei Die Linke gab sich zerknirscht. Es schmerze ihn »persönlich sehr«, und er bedauere es »zutiefst, dass eine anti-israelische Botschaft während der Feier zum 30. Jahrestag des Mauerfalls in einer Videosequenz zu sehen war. Die Irritationen, die die Schriftzüge ausgelöst haben«, könne er »mehr als nachvollziehen«, so Lederer. Und er fügte hinzu: »Das hätte nicht passieren dürfen. Ich bitte um Entschuldigung.« Drei Tage später tötete das israelische Militär mit einem Raketenangriff auf ein Haus im Gazastreifen drei Personen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprasch von einem Präventivschlag gegen eine der Personen, die eine »tickende Zeitbombe« gewesen sei. (Die anderen waren Kollateralschäden. Sie hielten sich zur falschen Zeit am falschen Ort auf.) Bisher waren Israels Übergriff auf den Gazastreifen weitaus folgenreicher als befürchteten »Angriffe« aus demselben. Gemäß UN-Angaben starben während der Bombenabwürfe im Jahr 2014 auf Gaza 2.251 Palästinenser, darunter 1.462 Zivilisten. Auf israelischer Seite starben sechs Zivilisten und 67 Soldaten. Mehr als 11.000 Palästinenser wurden verwundet, auf israelischer Seite waren es 1.600 Personen. Am 29. Juli 2014 wurde das einzige Kraftwerk im Gazastreifen durch Bombenangriffe zerstört. Eine Blockade des Wasser- und Abwassersystems folgte. Wegen des Artilleriebeschusses von drei UN-Schulen und der gezielten Zerstörung ziviler Gebäude protestierten viele internationale Menschenrechtsorganisationen. Anfang September 2014 stellte das Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge fest, dass von den 1,7 Millionen Einwohnern von Gaza etwa 1,5 Millionen nun auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren. Doch die Regierung Israels bezeichnete ihre Vorgehensweise als »legal« und »legitim«, ohne dass ein einflussreicher deutscher Politiker dem widersprach bzw. in Anbetracht des Elends der palästinensischen Bevölkerung so etwas wie Schmerz oder Mitgefühl zeigte. Berliner Sprachwissenschaftler stellten in einer Studie über die Sprache von Politikern fest, dass »moralisierende Tendenzen« dort aufträten, »wo harte Fakten für sich sprechen«. Auch der Begriff der Humanität sei »spätestens seit den Jugoslawien-Kriegen« kompromittiert. Im 20. Jahrhundert habe sich »die Unmenschlichkeit im Namen der Menschlichkeit entfaltet ...«
Iri Wolle, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.11.2019.