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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Rente: Eine neoliberale Lüge vom 05.11.2019:

Falle der Demographie

Der Autor analysiert völlig richtig die von allen Regierungen der letzten Jahrzehnte – ob »rot«, »grün« oder »schwarz« – gebetsmühlenhaft vorgetragenen, propagandistischen Nebelschwaden zur angeblichen Rentenproblematik: Aufgrund des steigenden durchschnittlichen Lebensalters seien die Renten in Gefahr, und dieses Dilemma könne nur durch eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters gelöst werden. Aber warum eigentlich? Wieso sollte angesichts Millionen von Arbeitslosen und Abermillionen von (bestenfalls) Mindestlohnempfängern eine längere Arbeitszeit von Rentnern hier Abhilfe schaffen? Führt sie zu einer erhöhten gesellschaftlichen Produktivität, d. h. werden dadurch mehr Produkte erzeugt, die der Bevölkerung zugute kommen würden? Wohl kaum! Denn die Arbeitsplätze, die von den Rentnern weiter besetzt werden, fehlen den Nachrückern. Unterm Strich kommt dasselbe heraus – wenn überhaupt. Das einzige »Rentenschonende« daran ist somit nackt und brutal: Den Rentnern soll ihr wohlverdienter Lebensabend vorenthalten werden – und das solange wie möglich, am besten bis zum Grab! Dabei wird unterschlagen, dass aufgrund der in den letzten Jahrzehnten rapide angestiegenen Produktivität schon lange derselbe Lebensstandard durch weniger statt mehr Arbeitszeit erreicht werden könnte. Man müsste die geschaffenen Werte nur gerecht verteilen. Auch dies arbeitet Müller heraus. Leider tappt er dann aber in eine propagandistische Falle. Er wünscht sich, »der Staat könne die Erhöhung der Geburten fördern …«, und dies obwohl er zuvor doch selbst aufgezeigt hat, dass sich die Alterspyramide bei Beibehaltung der bestehenden – inzwischen schon wieder leider steigenden – Geburtenrate in den kommenden Jahren von selbst normalisieren würde. Tatsächlich wünschen die Herrschenden nichts sehnlicher als eine erhöhte Geburtenrate. Aber aus den schlechtesten Gründen! Denn mit der Menge an Menschen steigt die Konkurrenz um die Arbeitsplätze und damit ihre Erpressbarkeit! Es ist daher nicht so recht einzusehen, warum die Geburtenrate steigen sollte, solange es doch noch Millionen Arbeitsloser und »Hungerlöhner« gibt. Umgekehrt würde sich bei gleichbleibender oder steigender Produktivität und einer Schrumpfung der Bevölkerungszahl auf ein gesundes Maß die Rentenproblematik wohl von selbst lösen (gerechte Verteilung vorausgesetzt). Denn niemals ging es den (West-)Deutschen besser als in den 60er und zu Anfang der 70er Jahre, als nahezu Vollbeschäftigung herrschte. Und auch der Umwelt würden weniger Menschen guttun (man denke nur an noch weiter zunehmende Flächenversiegelung für neue Wohngebiete, Flächenverbrauch für Nahrungs- und Energieanbau mit allen seinen mittlerweile doch bekannten Folgen, wenn die Bevölkerung immer noch weiter wächst).
Dorothee Bister
Veröffentlicht in der jungen Welt am 09.11.2019.