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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Dogma der »Schwarzen Null«: »Der Begriff ›Schuldenmotor‹ wäre passender« vom 21.09.2019:

Rendite ist Diebstahl

Glückseliges kapitalistisches Sklaventum: Auf den Baumwoll-, Tabak- und Zuckerrohrplantagen der »Neuen Welt« vor 300 Jahren, in Virginia, Haiti, Kuba etc., hatten die europäischen Sklavenhalter außer den enormen Profiten durch die Ausbeutung der versklavten Menschen auch das Riesenproblem, dass die Sklaven noch wussten, dass sie Sklaven sind, und jede erdenkliche Situation nutzten, um wegzurennen, oder aber in ihrer Wut den Sklavenhalter erschlugen und dann sogar einen Aufstand mit anderen, sich auch befreienden Sklaven organisierten.
Also haben sich die Sklavenhalter zusammengetan und sich Gedanken gemacht, wie man das ganze verbessern kann, damit die Sklaven sich nicht mehr auflehnen und ihre zugewiesene Arbeit verrichten. Nach langen Beratungen wurden sie sich einig. Da sie ja nur den Körper der Sklaven in Ketten gelegt hatten, aber nicht den Kopf und die Gedanken, und deswegen der Sklave sich seines Sklavenzustandes noch bewusst war, sollte ab jetzt der Kopf versklavt werden, weil: Dann hätte man quasi gratis dazu den Körper und damit die Arbeitskraft des Sklaven, und die Sklaven würden dann im Idealfall nicht mehr rebellieren, sondern freiwillig zur »Arbeit« erscheinen. Also sagten sich die Sklavenhalter, wir müssen den Sklaven ein wenig abgeben, natürlich nicht zu viel, weil: Schließlich gibt es ja gottgegebene Unterschiede zwischen uns und den Sklaven. Aber ein bisschen musste man schon abgeben, und so taten sie es auch.
Die Sklaven bekamen bessere Essensrationen, Kleider und Hütten, es wurde ihnen auch erlaubt, erst einen, dann sogar zwei Tage nicht zu arbeiten. Sie bekamen einen Kirchenraum, in dem sie Sonntags ihre Spirituals und Gospels singen durften, und es erschienen tatsächlich die meisten Sklaven Montags pünktlich um 7 Uhr freiwillig bei ihrer Ausbeutungsstelle. Die Sklavenhalter waren äußerst zufrieden mit dieser neuen Regelung und schöpften noch sattere Profite. Das »glückselige Sklaventum« war geboren. Die Profite wurden immer größer für die europäischen Sklavenhalter, die Kapitalströme der Ausbeutung flossen nach London, Amsterdam, Hamburg, Madrid, Genua usw. und befeuerten den europäischen Industrie- und Finanzkapitalismus.
Dieselben Sklavenhalter finanzierten und errichteten in Europa Industrieplantagen mit den gleichen Ausbeutungskonditionen, die sie schon erfolgreich in ihren amerikanischen Plantagen praktiziert hatten. Sklaven wurden aber nicht mehr Sklaven genannt, sondern Werksangehörige, die Sklavenhalter gaben sich auch moderne und clevere Namen, sie nannten sich auf einmal Werksbesitzer oder noch viel eleganter Unternehmer.
Und eigentlich hat sich ja auch nichts daran bis heute verändert, weil: Genau wie auf der Sklavenplantage ist es auch im Industriekapitalismus, der Boden und die Produktionsmittel sind im Besitz der Werksbesitzer/Sklavenhalter, die ihre Profite durch immer neue und noch perfidere Ausbeutungsmechanismen der Natur und des Menschen zum Obszönen steigern. Solange der Arbeiter eine seiner beiden Hände für Lohn entleihen muss, um mit der anderen sich ernähren zu können, weil die Hälfte seines Lohnes vom Kapitalisten gestohlen wird, können wir nicht von einer wirklich freien und demokratischen Gesellschaftsordnung sprechen. Daher sollten der Boden und die Produktionsmittel denen gehören, die durch ihre Arbeit den Wohlstand erschaffen, und nicht Spekulanten, Ausbeutern, Steuerbetrügern und Kriegstreibern, die sich heute den Großteil des von der gesamten Gesellschaft produzierten Wohlstands als »Kapitalrendite« aneignen.
Kapitalrendite beruht auf Ausbeutung des Menschen und aller planetaren Naturresourcen!
Kapitalrendite ist Diebstahl!
Claudio Coladangelo
Veröffentlicht in der jungen Welt am 28.09.2019.