Gegründet 1947 Freitag, 26. April 2024, Nr. 98
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel 30 Jahre »Wende«: Das vergessene Gespräch vom 11.07.2019:

Verratene UdSSR

Vor ein paar Monaten wurde jemand zur Wiedervereinigung Deutschlands und der Rolle Gorbatschows interviewt in der jW. Der Interviewte hatte eine recht zuversichtliche und freundliche Meinung von Gorbatschow, die nicht so recht passen will zu seiner Selbsteinschätzung, wie sie in Nikolai Ryschokows »Mein Chef Gorbatschow. Die wahre Geschichte eines Untergangs« zitiert wird. Nach dem Untergang der Sowjetunion erklärte er, dass er sein ganzes Leben davon geträumt habe, den Kommunismus zu Grabe zu tragen (S. 39). Im 3. Kapitel »Außenpolitik« (S. 31–33) geht Ryschkow auf die Begegnungen Gorbatschows mit M. Thatcher ein, die ihn als einen Menschen bezeichnete, mit dem man arbeiten kann. Und später: »Wir haben Gorbatschow zum Generalsekretär gemacht.« Aus Alexander Jakowlews Buch »Untiefe des Gedächtnisses. Von Stolypin bis Putin« zitierte Ryschkow (S. 32), dass Gorbatschow vor Thatcher eine Generalstabskarte ausbreitete, auf der alle Geheimchiffren unterstrichen eingetragen waren sowie die Zielrichtungen der Raketenschläge gegen Großbritannien und auch die Stationierung, von denen aus diese Schläge geführt werden können. Thatcher war sprachlos.
1986 traf Gorbatschow Ronald Reagan in Reykjavik zu langen, geheimen Gesprächen (S. 33). Reagan wollte wissen, ob Gorbatschow bereit sei, Interessen der UdSSR aufzugeben und sich loyal gegenüber den USA zu verhalten. 1993 gab Gorbatschow bei einem Frankreich-Aufenthalt zu, dass er beim Treffen in Reykjavik »faktisch die UdSSR der Gnade der Vereinigten Staaten ausgeliefert« habe, dass »Reykjavik ein Drama war, ein großes Drama«. Dass dort ein Prozess in Gang gekommen sei, der eine Umkehr schon nicht mehr möglich machte.
Fazit: Michail Gorbatschow war sich dessen bewusst, dass er Hochverrat an der UdSSR begangen hat, und gab zu, dass er es wissentlich getan hatte.
Cornelia Praetorius, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 06.08.2019.
Weitere Leserbriefe zu diesem Artikel:
  • Heiligste Kühe

    Die Werbung für das Buch von Egon Krenz »Wir und die Russen. Die Beziehung zwischen Berlin und Moskau im Herbst ’89« ist bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen. Als entscheidenden Mangel des Buches ...
    Dr. Klaus Emmerich
  • Der Begriff Wende ist völlig falsch

    Als dieses Gespräch stattfand, war das Kind DDR längst in den Brunnen gefallen. Krenz und Gorbatschow haben von daher ganz bestimmt nicht darüber gesprochen, wie die DDR hätte verbessert oder gar gere...
    Emil Schaarschmidt
  • Führende Rolle

    Recht hat Krenz, wenn er die DDR-Verfassung zur Erklärung der führenden Rolle der Partei heranzieht. Aber erst im Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 4. Juli 1985 (GBl. I Nr. 18...
    Dr. Klaus Emmerich
  • An den Früchten erkennen

    Mir scheint, dass Egon Krenz Gorbatschow gegenüber reichlich naiv und vertrauensselig war und bis heute ist. Dabei hat der Historiker Kurt Gossweiler in seinem Text »Die vielen Schalen der Zwiebel Gor...
    Ralph Petroff