Leserbrief zum Artikel Spätkapitalismus: Bloß nicht langweilen
vom 28.05.2019:
Verdrängter Erfolg
Der von mir sehr geschätzte Götz Eisenberg – seine komplette Literatur steht bei mir im Regal – scheint im Moment sehr frustriert zu sein. Er schreibt, dass er mit einem alten Bekannten unterwegs ist und dass das Handy klingelt. Danach schreitet für ihn die Entfremdung voran, und die Warenform durchdringt alle Lebensbereiche. Der Sprung in der Darstellung ist schon gewaltig. An einer Stelle blinkt für mich die Notwendigkeit einer aktuellen Analyse der Arbeiterklasse auf: Er spricht davon, dass die alten Lohnarbeiter in Dienstleister verwandelt werden. Völlig korrekt. Ich möchte zum Thema »Widerstand und Aktionen« an eine erfolgreiche Streikaktion der letzten Zeit erinnern: die Vollstreiks in den Uni-Kliniken Düsseldorf und Essen. Nach rund 40 Tagen Streik verständigte man sich auf je 180 neue Arbeitsplätze pro Klinik. Und dann mache ich auch in Verdi die Erfahrung, dass über diesen erfolgreichen Streik überhaupt nicht intensiv diskutiert wurde. Ich kann mir das bis heute nicht erklären. Problem der Gewerkschaftsbürokratie – immer noch SPD-dominiert? Auch außerhalb von Verdi habe ich beobachtet, dass über diesen Streik und die Bewegung für mehr Personal in Krankenhäuser nicht entsprechend diskutiert wird. Die Energie wird mehr in den Auseinandersetzungen zwischen Klassenfrage oder Identitätspolitik verpulvert. Merkwürdiges Deutschland. Und dann konzentriert sich die Sichtweise von Götz immer noch auf den »industriellen Arbeiter«. Was ist denn mit den Dienstleistern im sogenannten tertiären Bereich? Auf einer Tagung zum Gedenken an Helga Grebing sprach jemand darüber, dass über die Dienstleister-Sozialarbeiter-Bewegung – besonders in den einschlägigen Instituten – kaum reflektiert werde. Dazu müsste man aber solche Streiks wie in den Unikliniken Düsseldorf und Essen überhaupt wahrnehmen, ganz zu schweigen von der neuen Erzieher/innen-Bewegung.