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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel 1. Mai in Kuba: Sozialistische Inselrepublik feiert vom 02.05.2019:

Beispielhafte Demokratie

So stelle ich mir Demokratie vor: Am 5. Januar 2019 wurde auf Kuba die endgültige Fassung der neuen Verfassung publiziert, die am 24. Februar in einem Referendum mit großer Mehrheit angenommen worden war. Zuvor war der im Juli 2018 veröffentlichte Entwurf im Rahmen einer breiten Volksaussprache diskutiert worden, an der sich rund neun Millionen Kubanerinnern und Kubaner beteiligten. Mehr als 60 Prozent des Textes erfuhren in der Folge Änderungen. Ende Dezember 2018 beriet schließlich die kubanische Nationalversammlung nochmals über die Ergebnisse der Volksaussprache und beschloss die finale Textfassung, welche nun veröffentlicht wurde. 134 Artikel der 224 des ersten Entwurfs wurden in der Folge modifiziert, fünf neue kamen hinzu, und 87 behielten ihre Formulierung. (Zitat aus einem Artikel von cubaheute.de)
Mit mehr als 192.000 vorgebrachten Meinungen war das Konzept der Ehe in Kubas Verfassungsentwurf das am stärksten diskutierte Thema. Wurde die Ehe im Entwurf als »zwischen zwei Personen, mit dem Ziel, gemeinsames Leben zu schaffen« definiert (Art. 68), heißt es in der endgültigen Fassung (Art 82): »Die Ehe ist eine soziale und rechtliche Institution. Sie ist eine der Organisationsformen der Familie. Sie gründet auf dem freien Einverständnis und den gleichen Rechten, Pflichten und rechtlichen Möglichkeiten der Partner. Das Gesetz definiert ihre weiteren Formen und deren Auswirkungen. Darüber hinaus wird die stabile und singuläre Partnerschaft (…) anerkannt.« Die genaue rechtliche Ausgestaltung soll innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verfassung durch eine Novellierung des Familiengesetzbuchs festgelegt werden, in der Fragen wie die Einführung der »Ehe für alle« sowie von eingetragenen Lebenspartnerschaften berücksichtigt werden. Im Vorfeld soll ebenfalls eine Volksaussprache über das Gesetz geführt werden.
Der im kubanischen Verfassungsentwurf fehlende Bezug zum Kommunismus kehrte im Zuge der öffentlichen Beratungen in den Artikel 5 zurück, welcher die führende Rolle der Partei festschreibt: »Die Kommunistische Partei Kubas, alleinig (único), martianisch, fidelistisch, marxistisch und leninistisch organisierte Avantgarde der kubanischen Nation, ihren demokratischen Charakter und die direkte Verbindung mit dem Volk erhaltend, ist die führende politische Kraft von Gesellschaft und Staat. Sie organisiert und orientiert die gemeinsamen Anstrengungen auf den Aufbau des Sozialismus und das Voranschreiten bis zur kommunistischen Gesellschaft. Sie arbeitet zum Erhalt und Stärkung der patriotischen Einheit der Kubaner und zur Entwicklung ethischer, moralischer und ziviler Werte.«
Kubas Wirtschaftssystem wird jetzt in Art. 18 folgendermaßen definiert: »In der kubanischen Republik herrscht ein sozialistisches Wirtschaftssystem, basierend auf dem Volkseigentum der grundlegenden Produktionsmittel als vorherrschende Eigentumsform sowie der geplanten Leitung der Wirtschaft, die den Markt im gesellschaftlichen Interesse berücksichtigt, ihn reguliert und kontrolliert.« Bemerkenswert ist hier, dass erstmals seit der kubanischen Revolution die Funktion des Marktes (Art. 18), des Privateigentums (Art. 22) und die Rolle ausländischer Direktinvestitionen (Art. 28) explizit in der Verfassung erwähnt werden. Auch die Rolle von Wissenschaft und Technologie in der Entwicklung der Wirtschaft (Art. 21) fand erstmals Eingang in den Text.
Der erste Entwurf hatte sechs verschiedene Formen von Eigentum anerkannt, in der finalen Fassung kam das Vereinseigentum hinzu, und die Reihenfolge änderte sich wie folgt: a) sozialistisches Volkseigentum, b) genossenschaftliches Eigentum, c) Eigentum der politischen und Massenorganisationen, d) Privateigentum: Dieses kann sowohl natürlichen als auch juristischen Personen (kubanischen Bürgern und Ausländern) zukommen und hat eine ergänzende Funktion in der Wirtschaft zu erfüllen, e) gemischtes Eigentum, welches sich aus verschiedenen Eigentumsformen zusammensetzt, f) Eigentum von Institutionen und Vereinen, g) persönliches Eigentum.
Kontrovers diskutiert wurde der Artikel über die Konzentration von Eigentum. Im ursprünglichen Artikel 22 heißt es: »Der Staat reguliert, dass keine Konzentration von Eigentum bei natürlichen oder juristischen, nichtstaatlichen Personen existiert, um die mit den sozialistischen Werten von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit vereinbarten Grenzen einzuhalten.«
Im finalen Text heißt es nun (Art. 30): »Die Konzentration von Eigentum bei natürlichen oder juristischen, nichtstaatlichen Personen wird vom Staat reguliert, der darüber hinaus eine immer gerechtere Verteilung des Reichtums garantiert, um die mit den sozialistischen Werten von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit vereinbaren Grenzen einzuhalten.«
Der finale Text führt erstmals das Konzept der menschlichen Würde ein und stellt dieses den Grundrechten voran. Artikel 40 ist neu hinzugekommen: »Die menschliche Würde ist der oberste Wert, der die Anerkennung und Ausübung der in der Verfassung verankerten Rechte und Pflichten, der Verträge und Gesetze, stützt. Der Grundrechtekatalog, welcher im finalen Text nochmals neu gegliedert und präzisiert wurde, wird gegenüber der heute gültigen Verfassung deutlich erweitert. So findet die Unschuldsvermutung genauso wie das Konzept des Habeas Corpus Eingang in die Verfassung (Art. 95f.). Damit werden Bürger vor illegaler Freiheitsberaubung während laufender Ermittlungen geschützt. Auch das Recht auf Einsicht in die eigenen Daten, welche in öffentlichen Archiven und Datenbanken gespeichert sind, hat es vom Entwurf in den finalen Text geschafft. Zudem wurde die Pflicht eines einfachen Zugangs zur Gerichtsbarkeit, die Rechte der Angeklagten vor Gericht sowie eine genaue Auskunftspflicht der Institutionen verankert.
Kuba wird nun explizit als laizistischer Staat definiert (Art. 15): »Der Staat anerkennt, respektiert und garantiert die religiöse Freiheit. Der kubanische Staat ist laizistisch. In der kubanischen Republik sind die religiösen Institutionen und Bruderschaften vom Staat getrennt und verfügen alle über die selben Rechte und Pflichten. Die verschiedenen Glaubensbekenntnisse und Religionen genießen gleiche Berücksichtigung.«
Der Verbraucherschutz (Art. 89), ein Thema, welches erstmals Eingang in die Verfassung findet, wurde gegenüber dem Entwurf nochmals umfassender gemacht. In dem Artikel heißt es nun: »Alle Personen genießen das Recht, qualitative Güter und Dienstleistungen zu konsumieren, die nicht gesundheitsschädlich sind, genaue und wahrhaftige Informationen über diese in Erfahrung zu bringen und in Übereinstimmung mit dem Gesetz gerecht und würdevoll behandelt zu werden.«
Neben dem bereits 1992 verankerten Umweltschutz wird in Artikel 16 f) auch explizit die Bekämpfung des Klimawandels als Staatsziel formuliert. Kuba dürfte damit eines der ersten Länder sein, welches den Klimawandel in der Verfassung berücksichtigt.
Wann eine vollständige deutsche oder englische Übersetzung der kubanischen Verfassung vorliegen wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Vorerst existiert sie nur in spanischer Sprache (auch als PDF).
Peter Richartz, Solingen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 10.05.2019.