Leserbrief zum Artikel 20 Jahre NATO-Krieg: Der Krieg beginnt
vom 23.03.2019:
Schweigen durchbrechen
Heute, wo sich der Überfall, die Aggression gegen Jugoslawien zum 20. Male jubiliert, kommt in mir alles wieder hoch. Mir ist die Brust enger, der Herzschlag höher und die Atmung anstrengender als vor 20 Jahren. Ich erlebe die Ohnmacht noch heftiger als damals.1999 lebte ich schon lange in NRW in der Provinzstadt Straelen im Kreis Kleve (weil wir wegen der Arbeitsnot wegziehen mussten aus dem zerschlagenen sozialistischen Vaterland). Ich versuchte allein (nachdem ich weder die PDS erreichte noch andere linke Kräfte im Umfeld), meine Stimme laut zu erheben. Doch die Mauer des Schweigens in den Parteibüros von SPD/Grünen/CDU/FDP war nicht zu durchbrechen. Meine Anrufe an das Kreisbüro der Frau B. Hendrix erbrachte nicht einen Kontakt, ich wurde abgewiesen, es wurde aufgelegt. Frau Hendrix war anderweitig unterwegs, in dringend Geschäften.
Meine selbstgemachten Flyer gegen diesen Krieg und das Verbrechen wurden wohl des Nächtens heimlich von den Fenstern und Türen der Parteibüros entfernt (um nicht Rede und Antwort stehen zu müssen). Ich stand tagelang auf dem Marktplatz und verteilte Zettel gegen den Krieg. Was ich dabei durchlitt und erlebte, beschreibt nachfolgendes Gedicht. An der Demo am Flugplatz Brüggen/Bracht (engl.) an einem Wochenende, kurz nach dem Überfall, erhoben zirka 3.000 tapfere Demonstranten mutig die Stimme. Der Polizist, der mir gegenüberstand, sagte mir folgendes ins Gesicht: »Wenn hier die Linie überschritten wird, schlag ich dich tot.« Er meinte es ernst.
Es hat sich seitdem alles bewahrheitet, was die jW damals schrieb, und es ist weitaus schlimmer gekommen. Es war die Büchse der Pandora, und sie werden sie nicht wieder verschließen. Wer noch träumt und an das Gute glaubt, wird das Schreckliche am eigenen Leibe erfahren. Wenn diese Generationen nach uns sich nicht erheben gegen den Kapitalismus und für den Frieden kämpfen, werden sie Künftiges tragen – und so wird es sein. Es ist bitterst für mich, das Heute und das Nichtstun zu erleben. Ich danke der jW für ihre Berichterstattung (insbesondere) zu diesem schrecklichen Ereignis von Herzen.
Gedicht 1999
Ich stehe still in meiner Ecke
Verteile das Flugblatt gegen den Krieg
Höre Lachen. Schweigen. Auch: Verrecke!
Wie das immer wieder geschieht
Mir frieren Gesicht, Ohren und Hände
Die Last der einsamen Stunden ist groß
Doch ist das nichts gegen die Feuersbrände
Die da wüten und morden im Kriegesschoß
Bespuckt mich! Beschimpft mich! Lacht!
Ist von menschlichen Werten zu sprechen
Der Dummheit und Gleichmut hässlichste Macht
Ist nichtstuendes Handeln, dieses Verbrechen
Beim Nachgraben über die Zäsur für die Welt nach jenem Tag fand ich noch dieses Gedicht. Es gilt ebenso dem Zynismus und der Kälte, die dem Kapitalismus innewohnen. Ich hoffe und wünsche sehr, das sich viele Leser bei Ihnen zu Wort melden und heute ihre damalige Bestürzung zum Ausdruck bringen. Das wäre wieder eine kleine Kraft für uns, hier in der imperialen Isolation.
man hat die klagen abgewiesen
die paar toten – seien das nicht wert
dass man die, die unter wiesen
liegen, auch noch ehrt
das gras – sei gut darübergewachsen
und der krieg – lang schon vorbei
und wem hülfe denn das weiterquatschen
und das wiedergutmachungsgeschrei?
lasst das gras wachsen und die bäume blühn
über die gräber von varvarin
(2006)
Meine selbstgemachten Flyer gegen diesen Krieg und das Verbrechen wurden wohl des Nächtens heimlich von den Fenstern und Türen der Parteibüros entfernt (um nicht Rede und Antwort stehen zu müssen). Ich stand tagelang auf dem Marktplatz und verteilte Zettel gegen den Krieg. Was ich dabei durchlitt und erlebte, beschreibt nachfolgendes Gedicht. An der Demo am Flugplatz Brüggen/Bracht (engl.) an einem Wochenende, kurz nach dem Überfall, erhoben zirka 3.000 tapfere Demonstranten mutig die Stimme. Der Polizist, der mir gegenüberstand, sagte mir folgendes ins Gesicht: »Wenn hier die Linie überschritten wird, schlag ich dich tot.« Er meinte es ernst.
Es hat sich seitdem alles bewahrheitet, was die jW damals schrieb, und es ist weitaus schlimmer gekommen. Es war die Büchse der Pandora, und sie werden sie nicht wieder verschließen. Wer noch träumt und an das Gute glaubt, wird das Schreckliche am eigenen Leibe erfahren. Wenn diese Generationen nach uns sich nicht erheben gegen den Kapitalismus und für den Frieden kämpfen, werden sie Künftiges tragen – und so wird es sein. Es ist bitterst für mich, das Heute und das Nichtstun zu erleben. Ich danke der jW für ihre Berichterstattung (insbesondere) zu diesem schrecklichen Ereignis von Herzen.
Gedicht 1999
Ich stehe still in meiner Ecke
Verteile das Flugblatt gegen den Krieg
Höre Lachen. Schweigen. Auch: Verrecke!
Wie das immer wieder geschieht
Mir frieren Gesicht, Ohren und Hände
Die Last der einsamen Stunden ist groß
Doch ist das nichts gegen die Feuersbrände
Die da wüten und morden im Kriegesschoß
Bespuckt mich! Beschimpft mich! Lacht!
Ist von menschlichen Werten zu sprechen
Der Dummheit und Gleichmut hässlichste Macht
Ist nichtstuendes Handeln, dieses Verbrechen
Beim Nachgraben über die Zäsur für die Welt nach jenem Tag fand ich noch dieses Gedicht. Es gilt ebenso dem Zynismus und der Kälte, die dem Kapitalismus innewohnen. Ich hoffe und wünsche sehr, das sich viele Leser bei Ihnen zu Wort melden und heute ihre damalige Bestürzung zum Ausdruck bringen. Das wäre wieder eine kleine Kraft für uns, hier in der imperialen Isolation.
man hat die klagen abgewiesen
die paar toten – seien das nicht wert
dass man die, die unter wiesen
liegen, auch noch ehrt
das gras – sei gut darübergewachsen
und der krieg – lang schon vorbei
und wem hülfe denn das weiterquatschen
und das wiedergutmachungsgeschrei?
lasst das gras wachsen und die bäume blühn
über die gräber von varvarin
(2006)
Veröffentlicht in der jungen Welt am 26.03.2019.