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Leserbrief zum Artikel Schlagworte: Rotlicht: Staatskapitalismus vom 13.03.2019:

Etikettenschwindel

Es ist eine merkwürdige Konstellation, unter dem Relief der Köpfe der marxistischen Denker Marx, Engels und Lenin, ins Rotlicht gesetzt, dem Leser sozusagen als zukünftig mögliche Ideologie in großen Lettern den Staatskapitalismus zu präsentieren.
Schon seit den 80er Jahren versuchen neu auf die politische Bühne getretene Reformerideologen den bereits praktizierten wissenschaftlichen Sozialismus durch eine neue Ideologie zu ersetzen. Zuerst wurde der nie von der SPD ernsthaft in Betracht gezogene, geschweige denn jemals versuchte demokratische Sozialismus als die zukünftige Version eines Sozialismus propagiert. Dem schloss sich auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED von Gysi ein als neuer Entwicklungsweg ausgerufener »3. Weg« an. Schließlich haben wieder andere »Ideologen« die doppelte Transformation als Weg in eine neue Gesellschaft auf die Tagesordnung gebracht. Sie suchen sich mit etwas glaubhaft erscheinen zu lassen, nur um den wissenschaftlichen Sozialismus tot zu kriegen.
Letztendlich musste wohl erst die Bundeskanzlerin auftreten, den Kapitalismus mit einer Planwirtschaft in Verbindung zu bringen – sozusagen einem Staatskapitalismus das Wort zu reden, und schon sind wir dort angekommen, wo man dies endlich als neue Richtung zu einer politischen Grundlage für die weitere ideologische Arbeit verwenden könnte. Man hatte sich doch schon lange in diese Richtung bewegt.
In dem Artikel heißt es: »In der Arbeiterbewegung wurde unter dem Begriff jedoch noch etwas anderes verstanden. Staatskapitalismus war demnach unter den Bedingungen der politischen Macht des Proletariats eine mögliche Wirtschaftsform.« Davon höre ich das erste Wort, das der Arbeiterbewegung so etwas entschlüpft sei und das Proletariat plötzlich Kapitalismus freundliche Wirtschaftsformen anstreben könnte. Dafür fehlt erstens der Nachweis, um welche Arbeiterbewegung es sich hier handeln könnte, und zweitens wird sich doch die Arbeiterklasse den Armut erzeugenden Kapitalismus mit seinen gewaltigen Klassenunterschieden nicht als Idol an die Fahnen heften. Man kann die Reformer- und Erneuerertruppen doch weder als Arbeiterbewegung noch als Proletariat und schon gar nicht als deren Vorhut bezeichnen. Diesbezüglich wäre wohl eher genau zu überlegen, welchen Fußstapfen diese Verkünder bereit sind zu folgen. Solange sie sich anschicken, wohl auch um die Delegitimierung des neoliberalen Mainstreams zu unterstützen, die Sowjetunion und mit ihr verbündete Länder (da ist ja wohl auch die DDR gemeint) als »staatskapitalistisch verfasst« zu bezeichnen, fehlt wohl viel für ein sozialistisches Verständnis. Kapitalismus bleibt Kapitalismus, und deshalb bleibt Ausbeutung auch Ausbeutung. Es ist ja schon eigenartig, dass in diesem Falle nicht ein Wort darüber niedergeschrieben steht, was in diesen Ländern denn nun aus den Gewinnen der volkseigenen bzw. staatlichen Betriebe geworden ist. Im Kapitalismus (später dann auch im etwaigen Staatskapitalismus) teilen bekanntlich die Gewinne die Manager, Konzernherren, Aktionäre und Aufsichtsräte unter sich auf. Warum sagt niemand, wie es in diesem ehemaligen Sozialismus mit den Gewinnen bestellt war?
Alle sozialistischen Staaten, die vergangenen und die noch bestehenden, sind durchweg für alle Berichterstatter und vielen Journalisten Diktaturen. Da wird dem sogar Pol Pott untergeschoben, nur weil sich jemand so benennt, muss er doch noch lange nicht eine sozialistische Ideologie vertreten.
So kommt es auch nicht von ungefähr, dass es im letzten Satz des Artikels heißt: »In China wird ein ziemlich erfolgreicher Staatskapitalismus praktiziert.« Was aber hat das miteinander zu tun? Es regiert in China eine kommunistische Partei, es hängen im Volkskongresssaal rote Fahnen, und der Sowjetstern leuchtet an der Decke, das ist alles schön und gut, doch unter welcher Flagge man sich auch zeigt, das, was da draußen draufsteht, muss nicht unbedingt auch drin sein. Genauso wie es Parteien gibt, die sich christlich nennen, aber ob es auch in den politischen Bestrebungen drin ist, muss man doch auch hinterfragen dürfen.
Klaus Glaser
Veröffentlicht in der jungen Welt am 19.03.2019.