Leserbrief zum Artikel Befreiung: Warnung
vom 01.02.2019:
Kein Nachlassen
Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno hat in seinem 1966 geschriebenen Manuskript »Erziehung nach Auschwitz« gefragt, wie es sein kann, dass scheinbar »das Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist«. Er hat damit wie viele andere Intellektuelle und zuvorderst Zeitzeugen und Schoah-Überlebende wie Saul Friedländer vor den Gefahren eines erneut zunehmenden Nationalismus und Antisemitismus als Symptomen für den drohenden Rückfall in die Barbarei gewarnt. Die unabdingbare Aufgabe jeder nachfolgenden Generation ist es daher, allen Menschen die Bildung von rationaler und emotionaler Kompetenz zu ermöglichen; ihnen mithin das Wissen zu geben, dass der Weg von der (vermeintlichen) Zivilisation zur Barbarei nur kurz, der Firnis ersterer nur dünn ist. Dass es deswegen niemals eine Entwarnung angesichts der Schrecken des Holocaust, niemals ein Nachlassen unserer Erinnerung und humanistischen Aufklärung geben kann und geben darf. Auf ein ganz besonderes Zitat aus dem Talmud sei in diesem Zusammenhang hingewiesen: »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte, achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal!«
Veröffentlicht in der jungen Welt am 04.03.2019.