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Leserbrief zum Artikel Soziale Proteste in Frankreich: »Den Machthabern wird Portion Angst eingeflößt« vom 10.12.2018:

Falsche Linke

Spontan werden hunterttausend und mehr Menschen im Nachbarland revolutionär. Den Deutschen verschlägt es fast durchgängig die Sprache, sie scheinen rat- und orientierungslos. Eines der Sprachrohre des Kapitals titelt vielsagend: »Niemand versteht, was los ist.« Klaus Kleber, Nachrichtensprecher und ideologischer Macher, wirkt fast verstört bei der Suche nach Erklärungen und Parteinahme. Als Figur der Presse- und Meinungsfreiheit hat er sie natürlich. Es klingt wie Hohn und Spott auf die hunderttausend Protestierenden, wenn er an Macron und die Regierenden im Nachbarland mahnende und besorgte Worte über die sogenannten Reformen des Landes sendet. Was er meint, was er dem französischen Volke an den Hals wünscht, was Macron und seinesgleichen gefälligst für Kapital und Konzerne, EU und »Wertegemeinschaft« zu erfüllen haben, das sagt noch nicht »AKK«, aber schon mal »KK«. Das an sich wundert nicht, es bestätigt nur, Klassenkampf gibt es noch und auch wehrhafte Klassen, die laut Marx am Ende zu tun haben, was sie tun müssen. Sorge und Unverständnis muss uns aber erfassen, wenn unter Linken vernebelte Reaktionen, unklare Aussagen vernommen werden. Wenn Herrschende und ihre Lakaien samt Schreiberlingen im sozialen Hilferuf von Demonstranten Krawallmacher, Chaoten oder Kriminelle sehen, gibt es nichts zu wundern, ebenso dann nicht, wenn sie umgekehrt interessenbestimmt in Russland, China oder Kuba jede Handvoll Demonstranten als Helden feiern, Demokratie und Menschenrecht einfordern. Weit mehr bewegt die Frage, ob eine deutsche Linke nur noch moralische Werte, falsche demokratische und freiheitliche, parlamentarische Illusionen auf dem Zettel hat. Es könnte doch mal gefragt werden, wenn man sich eilfertig erschreckt abduckt, da ja Gelbwesten aus der rechten Ecke stammen könnten, in wessen Interesse die Argumentation das ist. Es könnte noch besser gefragt werden, wer daran Anteil hat, wenn Besorgte hier wie da auch den Weg nach rechts einschlagen, Orientierung, Solidarität und wirkliche Aktion fehlen. Über Gewalt mag man heulen und jammern, sie moralisch ablehnen. Frankreich zeigt, welche Sprache allein die Herrschenden verstehen, was wenige Tage revolutionäres Auftreten bringen können und was Jahrzehnte bitten und betteln, mitregieren nicht erreicht haben.
Roland Winkler, Aue
Veröffentlicht in der jungen Welt am 14.12.2018.