Leserbrief zum Artikel Repression: Eine Rüge aus Brüssel
vom 23.11.2018:
Gesicht des Faschismus
Was die türkische Sozialistin Ayten Öztürk sechs Monate lang durchmachen musste, zeigt das wahre Gesicht des türkischen Staats, den Recep Tayyip Erdogan bei jeder Gelegenheit im In- und Ausland als »demokratischen Rechtsstaat« darzustellen versucht. Am 9. März wollte sie über Beirut nach Athen fliegen. Doch sie wurde wegen des Verdachts, dass ihr Pass gefälscht war, von der libanesischen Polizei festgenommen und am 13. März an den türkischen Geheimdienst ausgeliefert. Bis zum 28. August gab es kein Lebenszeichen von ihr, sie galt als »verschollen«. Was die 43jährige, die gleich nach ihrer Festnahme mit einem Hungerstreik begonnen hatte, in dieser Zeit durchmachen musste, war ein Martyrium. Ihre Genossinnen und Genossen zählten die ihr durch Folter zugefügten Wunden: Es waren Hunderte an der Zahl. Mit dem Versprechen »Null Toleranz für Folter« war Erdogan 2002 an die Macht gekommen. Jeder, der das türkische System kannte, wusste, dass es sich nur um billige Propaganda handelte. In den 90er Jahren waren Revolutionäre, Demokraten, Journalisten, Menschenrechtler, Gewerkschafter auf offener Straße verschleppt worden. Nach langer Folter wurde von ihnen entweder ein Leichnam gefunden, oder sie blieben »verschwunden«. Die Zahl der »Verschwundenen« betrug mehrere hundert. Und jetzt versucht Erdogan, der jede oppositionelle Stimme zum Schweigen bringen will, die gleich Methode der »Konterguerilla« anzuwenden, die schon seinen Vorgängern nicht geholfen hatte, die Bevölkerung einzuschüchtern.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 11.12.2018.