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Leserbrief zum Artikel Kommentar: Schöne Gedanken vom 07.11.2018:

Lasst den Menschen ihre Heimat!

Ich habe die von der Autorin kolportierten Befürchtungen »rechter« Internetseiten zwar nicht gelesen, finde aber, Frau Jelpke macht sich zu schöne, leider wirklichkeitsfremde Gedanken. Weshalb? Eines ist doch klar: Um diesen UN-Pakt der Bevölkerung der aktuellen Migrationszielländer verkaufen zu können, muss erst einmal die Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Quelländern beschworen werden. Das ist nach meiner Überzeugung ein Lippenbekenntnis, vergleichbar mit manchen bundesrepublikanischen Arbeitsförderungsprogrammen: Angeblich aufgelegt, um Langzeitarbeitslose dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt einzugliedern, fördern sie zuallererst auf Kosten der Allgemeinheit (Steuergeld) die Unternehmen, selbst solche, die sich ums Steuernzahlen drücken. Typisch ist dabei nicht die dauerhafte Integration: Nein, die Mehrheit der Vermittelten sitzt wieder auf der Straße, nur kurze Zeit nachdem die teilweisen oder vollen Lohnzuschüsse nicht mehr an die Unternehmer fließen.
Die von Befürwortern des Paktes zur Entspannung der Diskussion bemühte These, es sei ja alles nicht verpflichtend, und jeder Staat entscheide selbst über Maßnahmen, ist nicht schlüssig: Dann bräuchte man ihn ja gar nicht abzuschließen. Andererseits erscheinen Worte wie »verpflichten sich« oder »Verpflichtung« häufig in dem Text, so dass u. a. Österreich den Standpunkt vertritt, es könnten sich durchaus bindende, verpflichtende Konsequenzen aus der Annahme des Paktes ergeben. Frau Jelpke befürwortet offenbar derartige Verpflichtungen, geht ihr der Text doch nicht weit genug.
Bei der Beurteilung des Migrationspakts ist ein ausschlaggebendes Kriterium die Beantwortung der Cui-bono-Frage. Ich sehe ihn als klugen Schachzug von Wirtschaft und Politik, gleichzeitig als Coup des Klassenkampfes von oben. Mit mehreren Wirkungsrichtungen. Folgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
1. Durch das größere Angebot an Arbeitskräften wird erhöhter Lohndruck auf bestehende Arbeitsverhältnisse ausgeübt werden. Einerseits werden die Löhne weniger oder nicht steigen, zum anderen bedeutet das gleichzeitig erbitterten Kampf um Arbeitsplätze zwischen Alt- und Neubürgern der Zielländer.
2. Das dabei umgesetzte Teile-und-herrsche-Prinzip spielt einheimische und zugereiste Menschen gegeneinander aus. Sprachliche Verständigungsprobleme sowie kulturelle Unterschiede und Widersprüche, Willkür und Gewalt durch Behörden und Dienstleister einschließlich gestiegener Kriminalität werden die Gesellschaft »unten« dauerhaft spalten. Das führt gleichzeitig zur Stabilisierung des überlebten kapitalistischen Systems durch Tarnung des wesentlichen Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Arbeit und ihrer Aneignung durch das Kapital. Den nehmen ja schon heute tonangebende Linke nicht mehr wahr – geschweige denn, dass sie Aufklärung leisten, wie es ihre Pflicht wäre. Gewalt zwischen Ausgebeuteten bzw. Abgehängten untereinander sowie zwischen ihnen und zumindest der Exekutive wird die gesellschaftlichen Verhältnisse immer mehr bestimmen.
3. Die dann bestehende »multikulturelle« Gesellschaft schließt bei einem Teil der Ankommenden religiösen Fanatismus ein. Sie werden zum (Über-)Leben feste Solidarstrukturen untereinander entwickeln. Bei den Deutschen wird sich die kulturelle Entwurzelung durch die Zuwanderung zunächst verstärken. Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben die USA ein jahrzehntelanges, erfolgreiches Umerziehungsprogramm des (vor allem west-)deutschen Volkes in Richtung Amerikanisierung – mittels Mode, Kulturexport (Filme und Serien, Musik) und Propaganda (Radio, Fernsehen, Volksfeste etc.) Welche/r Deutsche unter 40 kennt (oder gar kann) noch auch nur fünf Volkslieder oder ist in der Lage, auch nur drei Gedichte zu rezitieren? Mangelnde kulturelle Identität kann zu gesellschaftlicher Lähmung beitragen, aber auch zu Radikalisierung und Gewalt. Darauf bereitet sich die Exekutive seit Jahren vor: Mit Häuserkampfübungen, entsprechenden Übungsgeländen (u. a. Schnöggersburg), Integration des Militärs für »stabilisierende Maßnahmen« im Inland.
4. Schließlich wird auch die Exekutive des Staates (Militär, Polizei) für Zugewanderte »Arbeitsplätze« bieten – als assimilierte Hilfskräfte und Kanonenfutter.
5. Die Herkunftsländer von Migranten werden einem noch stärkeren Braindrain (Abzug gut Ausgebildeter, z. B. Ärzte) ausgesetzt. Das spart in den Zielländern Ausbildungskapazitäten und -kosten und verstärkt noch das Gefälle zwischen Nord und Süd.
6. Die Spaltung zwischen Alt und Jung wird verschärft, das durchschnittliche Bildungsniveau der Bevölkerung in Deutschland weiter sinken. Der Flüchtlingspakt wäre der Sargnagel einer »weltoffenen Gesellschaft«.
Viele Einwanderer wissen genau, durch wen und wodurch ihre Flucht ausgelöst wurde: Völkerrechtswidrige Angriffskriege durch westliche Staaten und Organisationen, die von der Stammbevölkerung im wesentlichen toleriert, wenn nicht sogar befürwortet werden. Anwendung barbarischer Methoden durch den Westen: Drohnenmorde, Einsatz von Ausrottungswaffen wie weißem Phosphor und abgereichertem Uran. Das bedeutet zusätzliche Gefahren in den Zielländern.
Hinzu kommen Wirtschaftsembargos und Sanktionen von Regierungen, die westlichen Regierungen nicht genehm sind. Sie oder ihre Familien haben selbst Angehörige im Krieg verloren oder müssen Krüppel durchbringen. Zum Beispiel Syrien wird der Kauf von Medikamenten verweigert, in Deutschland arbeitenden Syrern ist es verwehrt, ihren Familien zu Hause Geld zu überweisen. Keinerlei medizinische oder Nahrungsmittelhilfe des Westens für die vom ukrainischen Militär beschossene Bevölkerung in der Ostukraine. Die wenigen deutschen Hilfsorganisationen sind ungesetzlichen Behinderungen durch Staat und Banken ausgesetzt. Das ist zu beenden, hier könnten sich Staat und Medien in Szene setzen!
Zur Beantwortung der Cui-bono-Frage gehört auch, herauszufinden, welche Parteien den Pakt befürworten – mit dem Totschlagargument der Menschenrechte. Werden diese aber nicht am ehesten durch eine Politik eingehalten, die sich um Frieden bemüht (diplomatisch, nicht militärisch, versteht sich), um Antineoliberalismus und Ressourcenschonung?
Dieser Flüchtlingspakt bekämpft Fluchtursachen nicht – durch ihn werden sie hingenommen, indem Migrationsbewegungen erleichtert werden. Eine Schande, dass sich die UNO dafür hergibt.
Die durch Krieg, Klima und Elend Vertriebenen sind dem Kapital schlicht egal. Leider auch großen Teilen der Bevölkerungen in den Zielländern.
Lasst den Menschen, wo nur immer möglich, ihre Heimat und unterstützt sie dort bei der Sicherung ihrer Existenz!
Ich finde, derart weitreichende soziale Weichenstellungen dürfen nur in einem Volksentscheid nach breiter gesellschaftlicher Diskussion entschieden werden.
Fluchtursachen bekämpfen? Dafür braucht es einen Pakt für wirksame Hilfen vor Ort.
Albrecht Ludloff
Veröffentlicht in der jungen Welt am 14.11.2018.