Leserbrief zum Artikel Armut und Abwanderung im Osten: Republikflucht hält an
vom 02.10.2018:
Verweigerter Neuanfang
Am 9. November jährt sich zum 29. Mal die Öffnung der Grenzen zwischen der DDR und BRD sowie Westberlin. Alle, die damals eine bessere Republik erstrebten, sind um ihren Traum gebracht. Jene, die glaubten, 1990 wären sie im besseren Deutschland angekommen, wurden enttäuscht. Profiteure waren Industrie – und Bankkapital sowie Raubritter. Der Unternehmensbestand der DDR ging zu 87 Prozent an westdeutsche, sieben Prozent an ausländische und nur sechs Prozent an ostdeutsche Investoren. 2,3 Millionen Menschen, in der Regel gut ausgebildet, verließen in den ersten zehn Jahren Ostdeutschland. Im Osten vollzog sich die weltweit größte Deindustrialisierung. Zurück blieb eine vorwiegend kleinteilige Wirtschaft. Von diesem Exodus hat sich der Osten bis heute nicht erholt. Massenarbeitslosigkeit und Industriebrachen waren die Folge. Was sich in der DDR bewährt hatte, hatte nach 1990 keinen Bestand, Ganztagsschulen, polytechnischer Unterricht, Polikliniken, 80 Prozent der Krippenkinder besuchten eine Kinderkrippe u. a. m. Nach 28 Jahren deutscher Einheit sind Lohn (über 25 Prozent) und Rente immer noch deutlich geringer als in Westdeutschland. 2009 versprach die Kanzlerin auf dem Seniorentag in Leipzig, die Rentenangleichung bis 2011 zu vollenden. Enttäuschungen, gebrochene Versprechen, gravierende Unterschiede zwischen Ost und West, negierte der Lebensleistung, all das veranlasst nicht wenige Ostdeutsche, AfD zu wählen. Wobei die große Mehrheit rechtsextremer Funktionsträger aus dem Westen kommt. Sie wittern hier ihre Chance.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 30.10.2018.