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Leserbrief zum Artikel 50 Jahre »Prager Frühling«: Keine angenehme Wahl vom 21.08.2018:

Konterrevolutionärer Frühling

Ich nehme Bezug auf den jW-Artikel von Klaus Kukuk »Keine angenehme Wahl« vom 21. August 2018. Thema ist der sogenannte Prager Frühling 1968. Herzlichen Dank an Klaus Kukuk und junge Welt für die Bereitstellung dieser hervorragenden Argumentationshilfe wider bürgerlicher Geschichtsschreibung diverser »Qualitätsmedien« dieser großdeutschen Republik. Ich darf den Ausführungen von Klaus Kukuk noch einige signifikante Fakten hinzufügen. Hier ein kurzer chronologischer Auszug:
»20.–24. Mai: Führende CDU/CSU-Politiker der BRD, wie Ernst Müller-Hermann und Jacob Marx (NSDAP-Mitglied-Nr. 9.930.697), nehmen in Prag zu tschechoslowakischen Intellektuellen und zu Vertretern des öffentlichen Lebens der CSSR Kontakt in der Absicht auf, den Einfluss der antisozialistischen Kräfte in der CSSR zu aktivieren.
10. Juni: In der Absicht, die Verbindung zur imperialistischen BRD enger zu gestalten, trifft sich CSSR-Außenminister Jaroslav Hajek in Wien mit dem BRD-Außenminister Willy Brandt.
l4. Juni: Der führende Ideologe des USA-Imperialismus, Zbigniew Brzezinski, stattet dem Prager Institut für internationale Politik einen provokatorischen Besuch ab.
27. Juni: Veröffentlichung des konterrevolutionären Manifests ›2.000 Worte‹ in vier zentralen Zeitungen, im Radio und Fernsehen der CSSR. Es sieht vor, durch die Bildung illegaler Machtorgane in allen Städten und Gemeinden die KPTsch von der Staatsführung zu verdrängen und die Beseitigung des sozialistischen Staates vorzubereiten.
8. Juli: Der FDP-Vorsitzende Walter Scheel (1941–1945 NSDAP-Mitglied) und der Präsident der Bundesbank der BRD und Mitglied des »Freundeskreises Himmler«, Karl Blessing, weilen in Prag. Sie und andere Politiker der BRD und der USA versuchen mit ihren Reisen in die CSSR direkte Verbindungen zu den revisionistischen und konterrevolutionären Kräften der CSSR herzustellen. Sie sichern den antisozialistischen Elementen in der CSSR politische und materielle Unterstützung zu.
8.–9. August: Führende Mitglieder der Nationalversammlung der CSSR beraten mit den USA-Politikern Michael J. Mansfield und John C. Culver über die weitere außenpolitische Orientierung der CSSR.«
Quelle ist hier die grandiose Sammlung »Weltgeschichte in Daten« des VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften aus dem Jahr 1973 in seiner zweiten Auflage. Vorgenannter Quellennachweis zählt offenbar nicht zu den Exemplaren, welche nach dem 3. Oktober 1990 – wie andere ca. 30 Millionen (!) Bücher aus DDR-Verlagen – in Tagebauen oder Mülldeponien entsorgt wurden. Ein Vorgang, den man sicher mit der Bücherverbrennung der deutschen Faschisten vergleichen kann, wenn er diese auch quantitativ um ein Vielfaches übertraf. Das jedoch nur am Rande. Sehr schön erkennbar ist an dieser Stelle, unter welchem Vorzeichen ein »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« 1968 in der CSSR stand. Ziel war offensichtlich die Revision kapitalistischer Verhältnisse, welche jedoch weder in der KPTsch, noch in der tschechoslowakischen Gesellschaft mehrheitsfähig waren. Die sogenannte »Samtene Revolution« vom November 1989 war somit der nun erfolgreiche Abschluss des konterrevolutionären »Prager Frühlings«.
Roger Schwerdt, Rostock
Veröffentlicht in der jungen Welt am 10.09.2018.
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