Leserbrief zum Artikel jW-Wochenendgeschichte: Denken aus Leidenschaft
vom 18.08.2018:
Geschepper einer Talkshow
Mit Freude habe ich in der Wochenendausgabe gesehen, dass die junge Welt erneut Kämpfer der »Roten Kapelle« würdigt. Allerdings enthält der Text zwei Wermutstropfen, die diese Freude trüben. Zum einen: Libertas und Harro Schulze Boysen hatten mitnichten »umfassende Geständnisse« abgelegt, was in dieser Diktion bedeutet, sie hätten ihre Kampfgenossen verraten. Im Gegenteil, weil sie nur zugaben, was ihnen nachgewiesen werden konnte, sind etliche ihrer Mitstreiter dem Henker entgangen, von Werner Dissel über das Ehepaar Engelsing bis Günther Weisenborn. Einzig gegenüber Libertas Schulze-Boysen ließe sich der Vorwurf erheben, dass sie naiv in eine Falle getappt sei, die ihr zwei Agentinnen der Gestapo gestellt hatten. Das führte zu etlichen Verhaftungen. Zum anderen: Was soll die Bemerkung, Harro Schulze-Boysen hätte »ein Bündnis mit Stalin« angestrebt? Dafür gibt es in der wissenschaftlichen Literatur keinen Anhaltspunkt. Unstrittig ist dagegen, dass er den Krieg zu verhindern versuchte und, als das nicht gelang, er alle Kräfte unterstützte, die gegen das Naziregime kämpften. Dabei hatte er weder eine besondere Herzensnähe zu Josef Stalin noch zu Franklin Roosevelt, Winston Churchill oder Manuel Negrin. Solch Blech gehört in das Geschepper einer Talk Show und nicht in die junge Welt.