Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Gegründet 1947 Freitag, 19. April 2024, Nr. 92
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Jetzt zwei Wochen gratis testen. Jetzt zwei Wochen gratis testen.
Jetzt zwei Wochen gratis testen.

Leserbriefe

Liebe Leserin, lieber Leser!

Bitte beachten Sie, dass Leserbriefe keine redaktionelle Meinungsäußerung darstellen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zur Veröffentlichung auszuwählen und zu kürzen. Leserbriefe sollten eine Länge von 2000 Zeichen (etwa 390 Wörter) nicht überschreiten. Kürzere Briefe haben größere Chancen, veröffentlicht zu werden. Bitte achten Sie auch darauf, dass sich Leserbriefe mit konkreten Inhalten der Zeitung auseinandersetzen sollten. Ein Hinweis auf den Anlass Ihres Briefes sollte am Anfang vermerkt sein (Schlagzeile und Erscheinungsdatum des betreffenden Artikels bzw. Interviews). Online finden Sie unter jedem Artikel einen Link »Leserbrief schreiben«.

Leserbrief zum Artikel Aus Leserbriefen an die Redaktion vom 11.08.2018:

Illusionen und Verdrehungen

Gut, dass Ihr die beiden Leserbriefe »Recht auf Faulheit« und »Trauer über Sowjetunion« am Sa./So. 11./12. August 2018 veröffentlicht habt. Sie bestätigen, was für Ansichten unter weiten Teilen der Arbeiter existieren. Beide Themen sind trotz des äußerlichen Unterschieds eng miteinander verknüpft. Im ersten wird von einer Versorgungsgesellschaft mit einem großen Topf, aus dem sich jeder bedienen kann, geträumt. Leider gehören die, die möglichst viel aus dem Topf haben wollen, nicht zu denen, die es nicht lassen können, etwas hineinzutun.
So lief die auf dem VIII. Parteitag des SED gestartete Politik, die dazu führte, dass die Arbeitsproduktivität in der DDR von etwa 75 Prozent im Vergleich zur BRD auf etwa ein Drittel zum Ende der DDR sank. Maschinen wurden nachts abgeschaltet, um die Normen nicht zu verderben. Gewerkschaftsfunktionäre, die darauf achteten, dass nicht dagegen verstoßen wurde, gab es zur genüge.
Alle derzeitigen Problem haben ihre Ursache nicht in der »Zerstörung der Sowjetunion«, sondern im Kapitalismus. Der Kapitalismus ist heute nur ungebremster als damals. Die Ursachen des Bankrotts hat Uwe Müller wohl nicht vollständig erkannt. Bewirkt haben den Niedergang nicht die sowjetischen Kommunisten insgesamt, sondern diejenigen, die sich ohne die erforderliche Qualifikation Entscheidungsbefugnisse angemaßt und qualifiziertere Leute verdrängt und sogar vernichtet haben. Dieser Prozess hatte schon nach dem Ausscheiden Lenins aus der aktiven Politik eingesetzt und in den dreißiger Jahren ihren Höhepunkt. Der Versuch Chruschtschows, das zu überwinden, scheiterte trotz aller seiner Bemühungen genauso am Parteiapparat, wie später auf Druck der KPdSU die Bemühungen Ulbrichts gescheitert sind.
Diese Schlussfolgerungen habe ich mir nicht angelesen, sondern als Zeitzeuge seit 1945 gezogen, und zwar spätestens bis zu meiner Rückkehr nach einem vierjährigen Aufenthalt in der Sowjetunion 1964. So galt ich als ein allerdings fachlich gebrauchter Fremdkörper in der SED. Meine Schlussfolgerungen bekam ich in Leo Trotzkis Buch »Verratene Revolution« bestätigt, das ich etwa 2010 gelesen habe. Der nach seinem Geburtsdatum vier Jahre ältere Alfred Kosing, mit dem ich aber politisch etwa gleichaltrig bin, da mir dank meines Elternhauses sein politischer Umweg erspart geblieben ist, hat zu diesem Thema drei interessante Bücher geschrieben, in denen er zu den gleichen Schlussfolgerungen wie ich gekommen ist, obwohl wir zwei völlig unterschiedliche Lebenswege hatten. Da er von Klassen und Schichten spricht, hat er jedoch nicht verstanden, dass jede Person in eine der sechs durch »Eigentum an Produktionsmitteln« und »Ausbeutung« definierten Klassen eingeordnet werden kann und daher keiner außerhalb einer Klasse bleibt. Innerhalb der Klassen gibt es allerdings Schichtungen. Das erste Buch Kosings trägt den Titel »Innenansichten als Zeitzeuge« und das zweite den Titel »Aufstieg und Niedergang des realen Sozialismus«. Im dritten Buch äußert er sich zur Rolle Stalins. Diese Bücher beruhen auf einer gemeinsamen Datenbasis, haben aber einige Besonderheiten, die sie unterscheiden. Leider sind diese Erkenntnisse bei weitem kein Allgemeingut. Es ist noch viel Bildungsarbeit zu leisten, damit der nächste Versuch nicht wieder in die Sackgasse führt. Es ergibt sich auch die Frage, ob ein Sozialismus mit den bei Menschen herrschenden Charaktereigenschaften überhaupt möglich ist. Die großen Gewinner bei der Vernichtung der Sowjetunion waren führende Leute mit Parteibüchern der KPdSU.
Horst Aden
Veröffentlicht in der jungen Welt am 14.08.2018.