Leserbrief zum Artikel Literaturgeschichte: Der Stoff des Jahrhunderts
vom 30.06.2018:
Erhebliche Kontinuitäten
Das Scheitern eines klassischen Dramas über Walter Ulbricht überrascht nicht. Denn letztlich verdient der 1971 durch eine Intrige abgesetzte SED-Chef nur bedingt das Attribut eines verhinderten Reformers, da seine Modernisierungen nur die Wirtschaft betrafen, während hingegen beim politischen System am dogmatischen Denken festgehalten wurde. Zudem gibt es ebenfalls große Widersprüche, wenn man nur einmal an den Selbstmord des Wirtschaftsplaners Erich Apel denkt oder daran, dass mit Günter Mittag die entscheidende Person für die Wirtschaftspolitik unter Erich Honecker schon in der Zeit von Ulbricht in leitender Funktion für eine sehr ähnliche Tätigkeit für das ZK der SED verantwortlich war. Insofern gibt es beim Machtwechsel auch erhebliche Kontinuitäten, weswegen sich nicht so einfach die Frage stellt, was aus der DDR geworden wäre, wenn der in den 1960er Jahre eingeschlagene Kurs einer stärkeren Leistungsbetonung fortgeführt worden wäre, zumal der eigentliche Konkurrent, an dem die SED von vielen Menschen gemessen wurde, stets im Westen mit seiner glitzernen Konsumwelt und nicht in Moskau stand!
Veröffentlicht in der jungen Welt am 02.07.2018.