Leserbrief zum Artikel Bundesregierung: Das Blaue vom Himmel
vom 22.03.2018:
Eingeständnis ohne Selbsterkenntnis
Die Bundeskanzlerin sagte: »Wohlstand für alle!« Das sagte sie bereits mehrfach, sie scheint aber zu glauben, dass irgendeine höhere Macht schon dafür sorgen werde. Was die Bundesregierung tun müsste, um dieses Ziel zu erreichen, sagte sie nicht. Dann müsste sie nämlich den Superreichtum anzapfen, und das hat sie immer vermieden. Wahrscheinlich baut sie auch darauf, dass der Begriff »Wohlstand« relativ ist, jeder bewertet seine Lebenssituation individuell. Einer ihrer neuen Minister zählt offenbar Hartz-IV-Bezieher zu dem Teil der Gesellschaft, der in Wohlstand lebt. Klar, wenn man den Maßstab der ärmsten Länder Afrikas anlegt, dann leben hier alle im Wohlstand. Der Zusammenhalt der Gesellschaft sei ihr erklärtes Ziel, sagte sie auch. Aber welche Wege ihre Regierung gehen müsste, um diesem Ziel zu dienen, hat sie nicht erwähnt. Dann müsste nämlich die Schere zwischen Arm und Reich, die mit ihrer Politik seit Jahren immer weiter geöffnet wurde, mit Hilfe bestimmter Maßnahmen der Umverteilung des großen deutschen Reichtums von oben nach unten um einen gehörigen Winkel verkleinert werden. Es gibt weitere Betätigungsfelder, die beackert werden müssten, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern: Kinderarmut, Lehrermangel, Misere in der Altenpflege, konkrete Maßnahmen der Abrüstung treffen, dazu gehört auch der Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der UNO, Normalisierung der Beziehungen zu Russland, Abzug von Bundeswehrkontingenten aus fremden Konflikten und Kriegen. Merkel gestand ein, dass »die Gesellschaft gespalten« ist. Dass dieser Zustand das Ergebnis ihrer Politik ist, erwähnte sie nicht. Ihre Regierungserklärung war wohl mehr auf philosophisch-akademischem Niveau. Der biedere Bürger konnte kaum erkennen, welche konkreten Pläne die »neue« Regierung eigentlich verwirklichen will.
Veröffentlicht in der jungen Welt am 27.03.2018.