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Leserbrief zum Artikel Russland: Putin gibt Kontra vom 02.03.2018:

Neuer kalter Krieg

Die (De-facto-Wahl-)Rede von Präsident Putin am 1. März zur »Lage der Russischen Föderation« offenbarte dem Wahlvolk nicht nur dort, sondern ebenso der restlichen Welt die Sicht des Kremls auf den Zustand der internationalen Beziehungen. Die von der russischen Staatsführung wahrgenommene Tendenz zu einer militärstrategischen Einkreisung durch einen Stützpunktgürtel der USA und der NATO rund um die Grenzen Russlands wurde und wird von einer klaren Mehrheit seiner Bürger als glaubwürdig und somit als Bedrohung nachempfunden. Der Vertrag zur gegenseitigen Beschränkung der Raketenabwehrsysteme (auf letztlich jeweils lediglich eines), aus dem die USA 2002 ausstiegen, hatte sowohl ihnen als auch Russland (zuvor der UdSSR) eine gesicherte Abschreckung vor einem Raketenerstschlag des geopolitischen Rivalen verbrieft. Sie gründete sich auf einer für den gesamten Erdball gültigen Wahnsinnskonsequenz, wonach, wer als erster seine Kernwaffenladungen tragenden Raketen abschießt, aufgrund des Zweitschlagspotentials des angegriffenen Rivalen ebenfalls stirbt. Dieses fragile, aber seinerzeit dennoch relativ zuverlässige »Gleichgewicht des Schreckens« nimmt Russland, das auf diesem Gebiet während des ersten Kalten Krieges waffentechnologisch den USA stets hinterherhechelte, als grundlegend erschüttert wahr. Das in Teilen bereits jetzt errichtete amerikanische System einer Raketenabwehr (zunächst als angeblich ausschließlich gegen den Iran deklariert) sieht Russland nicht ganz ohne Raison als Gefährdung seiner strategischen Zweitschlagsfähigkeit, die in der Tendenz zunehmend als wirkungslos in Frage gestellt wird.
Wer vor den heutigen Realitäten der internationalen Politik nicht die Augen verschließt, muss sich eingestehen, dass ein neuer Kalter Krieg mit noch größeren Unwägbarkeiten für die Menschheit schon längst begonnen hat. Putin hat nunmehr für Russland einen waffentechnischen Durchbruch gegenüber der westlichen Einkreisungsstrategie verkündet, die der Tendenz zur strategischen Entwertung der russischen Zweitschlagskapazitäten ein Ende bereiten soll. Die von ihm präsentierten, zum Teil völlig neuartigen Waffensysteme stellen ihrem Charakter entsprechend allesamt Erstschlagswaffensysteme dar. Auf Grund ihrer enorm gesteigerten Fluggeschwindigkeit und ihrer von den Gesetzen der Ballistik unabhängigen Flugbahn lassen sich diese angeblich mit heutiger Raketenabwehrtechnik nicht mehr bekämpfen. Nun müssten die USA und die NATO in Sachen Raketenwaffentechnik in Umkehrung des früheren Wettrüstens Russland im Streben nach strategischer Parität hinterhereilen – so Putin. Es sei denn, dass man sich wieder zu ernsthaften Verhandlungen und Verträgen über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung verständigen könnte. Der Westen sollte aufhören, darüber zu spekulieren, ob der sicherlich am Wochenende wiedergewählte russische Präsident nur gepokert oder gar geblufft habe. Der bessere und naheliegendste Weg für die in Sachen Krieg oder Frieden von ihren Regierungen in Geiselhaft gehaltenen Völker wäre der Verzicht auf den westlich-missionarischen Demokratieexport und eine von Waffen unbedrohte Akzeptanz der gesellschaftspolitischen Unterschiedlichkeit ihrer Staaten.
Prof. Gregor Putensen
Veröffentlicht in der jungen Welt am 16.03.2018.
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