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Leserbrief zum Artikel DDR-Ökonomie: Kein Bluff vom 02.01.2018:

Gewaltige Anstrengung

Zunächst möchte ich Sie auf einen Fehler im Beitrag aufmerksam machen: In der Bildunterschrift zum Schaltkreisfoto des U61000 wird dieser IC als Mikroprozessor bezeichnet. Das ist falsch, der U61000 ist der im Beitrag ebenfalls erwähnte 1-MB-Speicher-IC. Die Mikroprozessoren aus DDR- Fertigung hießen U808 (8 bit, dieser entsprach dem Intel-Mikroprozessor 8008), U880 (8/16 bit entsprechend Zilog Z80), U (A/B) 8001/8002 (16 bit entsprechend Zilog Z8001/8002) und die Ein-Chip-Mikrorechner-ICs U8047 (4 bit), U8611 sowie U881/U882/U883 (8 bit). Diese Mikroprozessoren wurden ergänzt durch Peripherie-ICs, mit denen dann die Robotron-Büro- und -Industrie-Mikrocomputer und die DDR-Heimcomputer ausgerüstet waren. Daneben gab es eine CMOS-Serie, die im wesentlichen der CD-4000-Serie der westlichen Hersteller entsprach, und einige bemerkenswerte Entwicklungen für Spezialanwendungen. Diese Bauteile waren 1989 auch aus der Serienfertigung verfügbar. Außer der Fertigung der unipolaren Schaltkreise in Erfurt und Dresden gab es noch die Fertigung analoger und bipolarer ICs in Frankfurt/Oder, auf deren Basis zahlreiche Entwicklungen für Konsum- und Industrieelektronik entstanden (Quelle: Broschüren »Aktive elektronische Bauelemente«, Ausgabe 1989), und die optoelektronischen Bauteile wie LEDs, Optokoppler usw., die größtenteils im Werk für Fernsehelektronik in Berlin (Ost) gefertigt wurden.
Der Beitrag über die Entwicklung der DDR-Mikroelektronik erwähnt einige Begleiterscheinungen dieser Entwicklung leider entweder gar nicht oder nur am Rande, so z. B. die Tatsache, dass der Aufbau einer Fertigung von mikroelektronischen Bauelementen natürlich neben einer gewaltigen Anstrengung in der Entwicklung auch eine umfangreiche technologische Ausrüstung erforderte. Bereits das hochreine monokristalline Silizium oder Germanium herzustellen erforderte gewaltige Anstrengungen und wurde im VEB Spurenmetalle Freiberg mangels natürlicher Vorkommen größtenteils durch Verwertung von Abfallprodukten der Metallurgie gemeistert.
Die Anlagen zur Wafer-Bearbeitung kamen größtenteils aus westlichen Ländern, teilweise als Gebrauchtgeräte, und wurden wohl auch über die Kontakte der »Koko« des Herrn Schalck- Golodkowski beschafft. Eine eigene Entwicklung von Fertigungseinrichtungen wurde im Kombinat Carl Zeiss Jena, in Forschungsinstituten und im ZFTM betrieben, kam aber in der Zeit von 1989/1990 über ein Forschungs- und Anfangsstadium nicht mehr hinaus.
Dazu kam allerdings noch eine weitere, aus wirtschaftlicher Sicht völlig unverständliche Strategie innerhalb der RGW-Staaten: So fertigten sowohl die UdSSR als auch Polen, Rumänien, die CSSR, Bulgarien und die DDR eigentlich gleichartige Bauelemente, allerdings mit geringfügigen Unterschieden in Gehäusen, die eine Verwendung der Bauteile in automatischen Bestückungsanlagen nahezu unmöglich machten und außerdem riesige Kapazitäten der nationalen Volkswirtschaften banden. Eine Koordination der Fertigungen innerhalb des RGW und die Konzentration auf neue, international konkurrenzfähige Produkte der Halbleiterindustrie hätte sowohl der DDR-Halbleiterindustrie als auch dem RGW als Wirtschaftseinheit besser getan – so gab es kaum nennenswerte Produkte in der aufstrebenden Solartechnik, der Entwicklung von modernen, diskreten Bauteilen wie MOSFETs und anderen hochvolumigen Produkten der Leistungselektronik.
Zu erwähnen sei noch die außerordentlich gute Weiterbildungspolitik für Ingenieure auf der Anwenderebene durch zahlreiche Veranstaltungen der »Kammer der Technik«, des Ingenieurverbands der DDR, wie z. B. das alle zwei Jahre in Frankfurt/Oder stattfindende Halbleitersymposium, auf dem neue Entwicklungen vorgestellt und diskutiert wurden. Hier wurden die Entwickler von Geräten und Einrichtungen der Konsum- und Industrieelektronik intensiv mit den Verwendungsmöglichkeiten der Neuentwicklungen auf dem Bauteilesektor vertraut gemacht, und es fand ein überbetrieblicher Erfahrungsaustausch statt, fernab jedes Konkurrenzdenkens oder sorgsam gehüteter »Geheimnisse«, wie heutzutage in der Branche üblich.
Lutz Moschke
Veröffentlicht in der jungen Welt am 04.01.2018.