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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Olympia: Systemische Manipulation vom 07.12.2017:

Kein Fair play

Wir lesen »Staatsdoping«, »Dopingstaat«, und dann spricht Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), von einem »beispiellosen Angriff auf die Integrität der olympischen Bewegung und des Sports«, ausgeübt von der russischen Sportnation. Wäre es nicht so ungemein hochpolitisch, müssten jetzt Tränen fließen – nicht der Rührung, sondern Lachtränen! Leider haben wir es aber hier mit einem antirussischen Furor zu tun, der die Welt des Sports in die Beinschere genommen hat.

Der »beispiellose Angriff« hat vor Jahrzehnten begonnen. Einen Stichtag kann ich nicht ausmachen. (…) Das mit Wohlwollen aller involvierten staatlichen Institutionen geförderte Doping erlebte in meiner Erinnerung einen ersten Höhepunkt bei den Olympischen Sommerspielen in München 1972. (…) Die Wahrheit kam ans Tageslicht, scheibchenweise wie die Fotos nach einer Computertomographie. Dann kam das tödlich endende Drama um die Siebenkämpferin Birgit Dressel und später der Tod des mit Anabolika vollgepumpten Kugelstoßers Ralf Reichenbach. Sie wurden Opfer eines wild wuchernden Dopingmarkts. In Konkurrenz zur erfolgreichen Sportnation DDR bleiben mir auch die Worte des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher in Erinnerung: Wir brauchen Medaillen, egal mit welchen Mitteln. Unvergesslich der Auftritt der US-amerikanischen Sprinterin Florence Griffith-Joyner. Sie schuf Weltrekorde für die Ewigkeit (obwohl, wer weiß?), die offenkundig aber (…) im Labor von BALCO ausgetüftelt worden waren. Als sie starb, war sie noch keine 40 Jahre alt. Die Firma BALCO, in Kalifornien beheimatet, galt als die »Schmiede« aller olympiatauglichen Dopingpräparate in den USA. (…)

Ab dem Zeitpunkt, als der Leistungssport sich den Gesetzen des Marktes und der Profitmacherei unterworfen hatte, gab es kein Halten mehr. Flankiert von einer skrupellosen Werbeindustrie mussten, wurden und werden alle Appelle an ein Fair play auf der Strecke bleiben. Wenn es einen Dopingstaat gab, wo ist der Unterschied zu den Staaten, die alle Dopingpraktiken den freiheitlich-demokratischen Marktagenten überlassen haben? Sie mögen staunen, es gibt ihn. Unter staatlicher medizinischer Kontrolle gab es bisher noch keine Todesopfer. Die vom IOC getroffene Entscheidung ist rein politischer Natur. Wer da glaubt, auf diese Weise auf die Zielgerade zum blütenweißen Sport einbiegen zu können, sollte lieber an die unbefleckte Empfängnis glauben, oder an den Weihnachtsmann.
Hans Schoenefeldt
Veröffentlicht in der jungen Welt am 18.12.2017.