Leserbrief zum Artikel Oktoberrevolution: Vorbildliche Bestimmungen
vom 09.11.2017:
Welthistorisches Konzept
Die Überschrift des Artikels darf man wohl als Untertreibung ansehen, das »Dekret über den Frieden« ist durchaus von welthistorischer Bedeutung, vor allem wegen der zugrundeliegenden Auffassung von der »freien Selbstbestimmung der Nationen«. (…) Im Kontext des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution wäre es allerdings m. E. auch unbedingt nötig gewesen, darauf hinzuweisen, dass die Bilanz der Umsetzung dieses Konzepts unter Lenins Nachfolgern keineswegs nur »gemischt ausfällt« (…), sondern in der Praxis eine einzige Missachtung und Gegnerschaft dazu aufweist. Ja, Lenin stand mit seinem Verständnis von der überragenden Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen in der Führung der Bolschewiki schon zu Lebzeiten weitgehend allein da. (…) Bei dem Konflikt ging es um die Struktur der UdSSR und die Frage der Gleichberechtigung aller Staaten in ihr. Speziell spitzte er sich an der Frage nach der Einbindung Georgiens in die SU zu. Nach genauer Untersuchung (…) warf Lenin Stalin vor, ein echter »Sozialnationalist« (…) zu sein. Lenin betrieb u. a. deswegen mit aller Kraft die Absetzung Stalins als Generalsekretär – und starb daran (politisch) Anfang März 1923. (…)
Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.11.2017.