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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Krieg: »Es muss ein Zweckbündnis mit den USA geben« vom 02.11.2017:

Unaufrichtige Kurden

(…) Leider erscheint mir der Artikel seltsam einseitig und blendet die Rolle des syrischen Staates und auch Russlands als Hauptakteure im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) völlig aus. Dass die Frage nach der Haltung der Kurden – gemeint ist natürlich die Haltung der kurdischen Führer in Syrien – zum syrischen Staat in diesem Beitrag keinerlei Berücksichtigung fand, halte ich für unaufrichtig.

Natürlich kann es Zweckbündnisse auch mit den USA geben – ein solches Zweckbündnis war z. B. auch die Antihitlerkoalition –, aber man sollte auch die Gründe und Bedingungen, die zu einem derartigen Bündnis führen, ehrlich benennen. Die Frage, ob die Kurden im syrischen Staat leben (Autonomiestatus) oder mit Hilfe der USA einen eigenen Staat auf syrischem Staatsgebiet gründen wollen, hätte unbedingt gestellt und beantwortet werden müssen! Diese Frage führt doch zwangsläufig zu den eigentlichen Gründen dieses »Zweckbündnisses«! Dass sie in diesem Beitrag nicht aufgeworfen wurde, lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass die kurdischen Kräfte inzwischen offensichtlich nach dem Fall von Rakka einen eigenen Staat anstreben. Hier treffen sich also unmittelbar die Interessen der USA und der kurdischen Führer in Syrien.

Dass die USA den syrischen Staat zerschlagen wollen, ist allgemein bekannt. Assad ist einer der wenigen Staatschefs in dieser Region, die sich offen gegen die imperialen Interessen der USA zur Wehr setzen. Nicht zuletzt zur Erreichung ihres Ziels haben sie den IS gegen Syrien bewaffnet und in Marsch gesetzt. Der IS hat seine ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllt. Gelingt es aber den Kurden mit Hilfe der USA, einen eigenen Staat auf dem Territorium Syriens zu gründen, haben beide – die USA und die Kurden – ihre Ziele erreicht.

Diese Rechnung kann und wird nicht aufgehen. Die USA werden bei der erstbesten Gelegenheit die syrischen Kurden im Stich lassen, so wie sie es gerade mit dem Barsani-Clan im Irak gemacht haben. Barsani musste seine erhoffte Geldquelle – das Ölgebiet Kirkuk – nahezu kampflos aufgeben und ist mittlerweile auf dem Weg ins politischen Abseits.

Die einzigen »Garantiemächte«, die aufgrund eigener politischer Interessen für eine autonome Selbständigkeit der Kurden in Syrien eintreten könnten, wären Syrien selbst und Russland. Entsprechende Angebote wurden bereits gemacht. Auch das wurde hier von der kurdischen Vertreterin nicht erwähnt. Russland hat alle Hände voll zu tun, um zum einen die Türkei von einem direkten Angriff gegen die Kurden in Syrien zurückzuhalten und zum anderen die Bedenken der syrischen Regierung zu zerstreuen, man arbeite an einer Teilung Syriens. Als ein Ergebnis der aktuellen Gespräche von Astana wurden schließlich offiziell erstmals kurdische Vertreter, unter anderen auch die PYD, zu den nächsten Gesprächen am 18. November in Sotschi eingeladen.

Es bleibt zu hoffen, dass die syrischen Kurden rechtzeitig die ihnen von den USA zugedachte Rolle bei der Zerstörung Syriens erkennen. Bei ihrem unbestritten hohen Anteil im Kampf gegen den IS haben sie allen Grund, mit Selbstbewusstsein und Stolz in Autonomieverhandlungen mit der syrischen Regierung zu gehen.
Dr. Günter Pelzl
Veröffentlicht in der jungen Welt am 04.11.2017.