Leserbrief zum Artikel Air-Berlin-Pleite: »Kollegen wollen wissen, wie der Übergang wird«
vom 19.08.2017:
Verdi-Berufsbeamtentum
Als ich das Interview mit der hauptamtlichen Kollegen Christine Behle von Verdi (Fachbereich Verkehr) über die Lage der Beschäftigen bei Air Berlin las, war ich entsetzt. Da bestimmt die Kollegin also erst mal, wer, wer nicht zu einem Streik aufrufen kann? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Die Koalitionsfreiheit mit allen ihren Folgen in den Grundrechten ist der Dame wohl nicht bekannt. Alsdann legt sie fest, dass ein »Ausstand« (Streik) bei Eurowings nicht das richtige Mittel zum Durchsetzen der Absicherung von Arbeitsplätzen sei. Da bekämen die Kolleginnen und Kollegen Angst. Dann aber der argumentative Höhepunkt: Wer an diesem Streik teilnehme, mache sich strafbar. Das hätte ich nicht gedacht, so etwas von meiner Gewerkschaft Verdi zu hören. Hier meldet sich wohl das »Berufsbeamtentum der Gewerkschaften«, leider seit August Bebels Zeiten ein lähmendes Übel in Deutschland, mal wieder selbstbewusst zu Wort, wenn Teile der Arbeiterklasse das eigenständige Handeln proben und ihre Interessenvertretung selbst in die Hand nehmen. Meine Auffassung von Gewerkschaft ist, dass sie das Bewusstsein der abhängig Beschäftigten zu fördern hat, bis zu dem Punkt, dass selbständige Aktionen und Aktivitäten in den Betrieben und Verwaltungen möglich werden. Zuerst natürlich mit der zuständigen Verdi-Gewerkschaft, wenn die aber die Hosen voll haben sollte, dann eigenständig mit den Kolleg(inn)en. Klassenkampf ist nötig zur Verwirklichung einer solidarischen gerechten Gesellschaft, denn die fällt nicht vom Himmel. Es gilt das Wort aus dem »Kommunistischen Manifest«: Proletarier aller Länder vereinigt euch!
Veröffentlicht in der jungen Welt am 24.08.2017.