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07.07.2017, 20:00:02 / Sommer des Widerstands
Buchrezension

Zur Lüge gezwungen

Shumona Sinha: Erschlagt die Armen!
Von Johannes Supe
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Asylbewerber lügen. Sie erzählen zusammengeschusterte Geschichten. Ihre Storys ähneln einander, denn es sind nicht »ihre«, sondern nur die, die ihnen auf die Reise mitgegeben wurden – von Schleppern. Klingt eine Erzählung glaubhaft, ist das dem Schauspieltalent des Vortragenden geschuldet. Spricht einer wahrhaft, ist das eine Sensation. So zumindest steht es in Shumona Sinhas Roman »Erschlagt die Armen!«.

Der namenlosen Protagonistin des Buches ist es gelungen, sich ein Leben in Frankreich aufzubauen. Für die Behörden arbeitet sie nun als Dolmetscherin, vermittelt also zwischen Beamten und Asylbewerbern. Doch die Arbeit reibt sie mehr und mehr auf: Die Schutzsuchenden geben sich als politisch Verfolgte aus, als Parteisprecher, als bedrängte Christen, als sexuell missbrauchte Frauen. Doch ihre Geschichten halten den Nachfragen nie stand. Die Dolmetscherin selbst wird stetig bedrängt – von den Vertretern des Staates wie auch von den Flüchtlingen und ihren Anwälten. Der Roman stellt uns die Protagonistin in einer für sie ungewohnten Situation vor: Sie wird verhört. Nachdem ihr ein Mann zu nahe rückte, schlug sie mit einer Weinflasche in der Hand zu …

»Erschlagt die Armen!« lässt den Leser nachdenklich zurück. Eindeutig ist der Roman in einem Punkt: Das bestehende Asylsystem befördert Heuchelei und, in der Konsequenz, Verzweiflung und Gewalt. Die Menschen in dem Buch sind Lügende aus Not: Sie fliehen vor Elend und Hoffnungslosigkeit. Doch um in einem anderen Land aufgenommen zu werden, genügt es es nicht, vom Hunger bedroht zu sein. Und so werden sie in ihren Darstellungen von Armen zu Verfolgten.

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Shumona Sinhas Buch erschien 2011 in Frankreich, vier Jahre später dann auf Deutsch. Keiner der beschriebenen Geflüchteten stammt aus Syrien oder anderen Ländern des Nahen Ostens, keiner floh vor Krieg. Das macht es schwierig, die geschilderten Situationen auf die Gegenwart in der BRD übertragen. Doch es ist zu vermuten, dass sich in deutschen Amtsstuben ähnliche Szenen abspielen dürften, wie Sinha sie beschrieben hat – gerade wenn Menschen aus jenen Ländern um Aufnahme bitten, die nicht im Fokus der Presseberichterstattung sind.

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