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Aus: Ausgabe vom 11.01.2017, Seite 10 / Feuilleton
Droste

Blue-Tits-Blues

Von Wiglaf Droste

Worüber ich denn heute kolumniere, fragte die Frau am Telefon; »über Blue Tits«, gab ich munter zurück. »Wie? Über blaue Titten? Bist du jetzt bei der Blue Tit Group?« fuhr es mich scharf aus dem Hörer an. »Nein«, sagte ich lachend, »Blue Tits sind keine blauen Titten oder Möpse, das sind Blaumeisen.«

»Willst du mich verkohlen?« fragte sie zurück, »oder bist du blau und haste ’ne Meise unterm Pony?« – »Meise geht in Ordnung«, antwortete ich beschwichtigend, »von mir aus auch Vollmeise, Hauptsache keine Ameisen. Die jucken nämlich, wenn sie an dir dran waren. Und verkohlen stimmt ganz sicher nicht, ich schreibe ja nicht über Kohlmeisen, das ist ein anderes Thema. Aber die Blue Tits, die Blaumeisen, machen sich rar in unseren Gefilden. Eben erst las ich es im lokalen Blatte.«

Der Zeitungsbericht war etwas betrüblich; die Blaumeisenpopulation war stark zurückgegangen, die Schätzungen taxierten den Blaumeisenverlust zwischen 30 und 70 Prozent. Ich mag Blaumeisen sehr gern, sie sind keine monokulturell orientierten Krawallisten wie Elstern und keine gurrenden Ohrenpeiniger wie Tauben, die Tauben heißen, weil man angehörs ihrer akustischen Existenzbeweisabsonderungen wünscht, man sei zumindest temporär stocktaub.

Getröstet hatte mich ein Blick aus dem Fenster; es schneite, das Land war so grün-weiß wie der Mindener Handballverein Grün-Weiß Dankersen, und für die Vögel war gut gesorgt: Zwei Dompfaffpärchen hatten das Futterhäuschen entdeckt, und an einem reichgefüllten grünen Netz schaukelten zwei Blaumeisen und pickerten sich die Bälge voll. Wie die beiden Blue Tits in so sachter eleganter Dualität in den Zweigen hin und her schwangen, erinnerten sie dann doch an jene weiblichen Körperteile, die Friedrich Schiller als »Halbkugeln einer besser’n Welt« bezeichnete, und wenn Schiller in manchem geirrt haben mag, hierin irrte er nicht.

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