Gegründet 1947 Dienstag, 19. März 2024, Nr. 67
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Wir verändern die Welt

Wir verändern die Welt

Berichte

  • Ein Interview des lateinamerikanischen Fernsehsenders teleSUR mit dem Vertreter der Kubanischen KP auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, Noel Carrillo. Darin unterstreicht dieser, daß die internationale politische und ökonomische Krise ihre Ursachen vor allem in der Struktur des kapitalistischen Systems habe. Von Lateinamerika müsse eine soziale Antwort auf diese Situation ausgehen.

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    teleSUR: Bericht von der Konferenz

    Ein Beitrag des lateinamerikanischen Fernsehsenders. In der Ankündigung heißt es:

    Tausende Aktivisten verschiedener Parteien und Organisationen der deutschen Linken versammelten sich in Berlin, wie stets im Januar seit 17 Jahren, um im Rahmen der Internationalen Konferenz im Geiste der vor 93 Jahren ermordeten kommunistischen Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Erfahrungen zu den Kämpfen in der Welt kennenzulernen und auszutauschen. (teleSUR)

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    Andere Spielregeln

    Arnold Schölzel
    Foyer
    Bücher, Bücher, Bücher: Im Foyer der Urania

    Franz Josef Degenhardt schildert in seinem Roman »Zündschnüre«, was gegen jugendliche Nazis getan werden kann, selbst wenn deren Väter regieren: Einer tritt gegen eine als Fußball getarnte Eisenkugel und landet später, da nur der Knochenbruch geheilt ist, aber politisch nichts, nackt für eine halbe Stunde in einem Ameisenhaufen.

    Der Schauspieler Rolf Becker las diese Passage aus dem Bestseller des Jahres 1973 am Sonnabend während der Rosa-Luxemburg-Konferenz in der Berliner Urania.

    Das Buch, meinte der Liedermacher Kai Degenhardt, der mit ihm auftrat, sei so etwas wie die »Wunschbiographie« seines Vaters gewesen. »Farewell Karratsch« nannten beide ihr Kurzprogramm. Den Titel trug das von jW organisierte große Konzert im Berliner Ensemble vom 19. Dezember 2011.

    An der Edition des Mitschnitts wird gearbeitet, war am Sonnabend zu erfahren, die ersten beiden der auf zehn Bände geplante Ausgabe seiner Texte im Berliner Verlag Kulturmaschinen wurden vorgestellt. Ehrung eines Klassikers? Ja, wenn klassisch nicht im Sinne von antiquarisch, sondern von ästhetisch und politisch vollständig verstanden wird.

    Rolf Becker und Kai Degenhardt traten in der Mitte der neunstündigen Veranstaltung auf. Kunst, Kultur, Politik, Theorie, vor allem aber Debatte waren Inhalt auch ihrer siebzehnten Ausgabe, durch die Kabarettist Dr. Seltsam führte. Den Start und das Finale markierte das Trio Palmera mit lateinamerikanischer Musik. Pablo Miró, in Berlin lebender Songwriter aus Argentinien, sang Lieder des von Chiles Faschisten ermordeten Dichters Victor Jara und des von den USA mit einer Terrorstrafe belegten kubanischen Terrorbekämpfers Antonio Guerrero.

    Jennipher Antoni und Michael Mäde luden zur Modotti-Ausstellung in die jW-Ladengalerie ein und lasen Texte der Revolutionärin und Fotografin. Peter Jacobs stellte Fidel Castros 800-Seiten-Band »Der strategische Sieg« vor, dessen deutsche Ausgabe demnächst im Verlag Neues Leben erscheint. Karl-Heinz Dellwo vom Hamburger Laika-Verlag präsentierte einen neuen Band der auf 100 Exemplare angelegten Bibliothek des Widerstands. Titel: »Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv«. Dellwos Resümee von 35 Jahren angeblich alternativer Politik: »Die Grünen haben kein Atomkraftwerk abgeschaltet, nur den Marxismus in der Opposition.«

    Bewegend die von Mut und Lebensmut bestimmte Botschaft der Cuban Five, verfaßt am 10. Januar in einem Knast in Georgia/USA, hier vorgetragen vom Botschafter Kubas Raúl Becerra Egana. Ebenso eindrucksvoll der packende Auftritt von Johanna Fernandez, Historikerin aus New York, Sprecherin des Verteidigungsteams von Mumia Abu-Jamal: Seit fast 40 Tagen ist er nicht mehr im Todestrakt, sondern in »administrativer Haft« - unter Umständen, die alle Kriterien für Folter erfüllen. Eine Audiobotschaft war diesmal nicht möglich.

    Analoges gilt für den Soldaten Bradley Manning, der u. a. das Video vom Erschießen irakischer Zivilisten in Bagdad aus US-Hubschraubern heraus an die Öffentlichkeit brachte. Ihm droht die Todesstrafe. Per Akklamation protestierte die Konferenz gegen sein Verfahren. Die Repression im NATO-Vorposten Richtung Naher und Mittlerer Osten, in der Türkei, kritisierte der des Ex-Guerrillero und heutige Abgeordnete Ertugrul Kürkcü.

    Ausführlich berichteten die Referenten aus ihren Ländern (nachzulesen in der jW-Beilage am 1. Februar). Sami Ben Ghazi (Union der kommunistischen Jugend Tunesiens): Die arabischen Aufstände haben »andere Spielregeln« in die Welt gebracht, aber islamistische Parteien in den Regierungen sind »Retter imperialistischer Interessen«. Geraldo Gasparin (Landlosenbewegung MTS in Brasilien): In der Krise strömte Kapital aus dem Norden in das Agrobusiness des Südens – mit verheerenden Folgen. Brasilien verfügt über fünf Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche weltweit, verbraucht aber 20 Prozent aller Agrogifte. Pedro Noel Carrillo Alfonso (KP Kuba): Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell zur Weiterführung der Revolution, aber es ist kein Sozialismusmodell für alle Länder. Agostinho Lopes (KP Portugal): Die EU ist nicht reform- und veränderungsfähig, denn ihre Grundlagen sind Dominanz der Großmächte, Neoliberalismus und Militarismus.

    Die Vorlage für die abschließende Podiumsdiskussion war geliefert, der große Urania-Saal füllte sich wieder restlos. Insgesamt waren über 1800 Besucher im Laufe des Tages da – allerdings wenige Kinder. Ein Ruf nach Betreuung und weniger Langeweile für die Jüngsten brachte es auf 160 Unterschriften.
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    Ausschnitte aus der Podiumsdiskussion

    Podium
    Auf dem Podium (v. r. n. l.): Dietmar Dath, Jutta Ditfurth, Georg Fülberth, Heinz Bierbaum und Arnold Schölzel

    Die Linke hat im Oktober in Erfurt ihr Grundsatzprogramm verabschiedet. Über Anspruch und Wirklichkeit dieser Partei sowie der linken Bewegung insgesamt diskutierten am Samstag im Berliner Urania-Haus der stellvertretende Linkspartei-Chef Heinz Bierbaum, die Frankfurter Publizistin und ÖkoLinX-ARL-Stadtverordnete Jutta Ditfurth, der Politikwissenschaftler Georg Fülberth sowie der Journalist und Autor Dietmar Dath. Es moderierte jW-Chefredakteur Arnold Schölzel.
    Arnold Schölzel, Frage an Heinz Bierbaum:

    Zwischen dem Programm einer sozialistischen Partei und ihrer Strategie, von der Taktik zu schweigen, herrscht stets eine bestimmte Spannung.

    Andreas Wehr hat in seinem jW-Artikel zum Programm der Linken formuliert: »In der Analyse antikapitalistisch, in der Strategie reformerisch.« Sie haben diese Kritik in Ihrem Text in der jungen Welt am Dienstag zurückgewiesen und den Zusammenhang von sozialistischem Ziel und reformerischen Schritten hervorgehoben.

    Ich möchte aber noch einmal nachfragen. Im Programm heißt es: »Die Linke ist der Überzeugung, daß ein krisenfreier, sozialer, ökologischer und friedlicher Kapitalismus nicht möglich ist.« Meine Frage lautet: Ist diese Beschreibung des Ganzen nicht zu wenig?

    Ich meine: Die Melodie vom krisenfreien, sozialen, ökologischen und friedlichen Kapitalismus wurde vor 20 Jahren nach dem Untergang des europäischen realen Sozialismus besonders laut gespielt.

    Inzwischen hat sie jede Menge Hörer verloren, anders gesagt, die Zahl der Menschen weltweit, die der Meinung sind, daß der Kapitalismus selbst die Katastrophe ist, hat enorm zugenommen. Das mag sich kaum in Wahlergebnissen in den westlichen Ländern niederschlagen, aber offensichtlich denkt es selbst dort.

    Seit 2008, seit der ersten Bankenrettungsaktion mit knapp 500 Milliarden Euro, sind die wahren Machtverhältnisse z. B. hierzulande, aber auch anderswo sichtbar geworden. Die sogenannte Frankfurter Runde – Merkel, Sarkozy und der EZB-Chef – hat im Oktober/November 2011 in Griechenland und Italien die parlamentarische Demokratie faktisch liquidiert und Regierungen nach ihrem Diktat eingesetzt. Die Finanz- und Wirtschaftskrise erhält wöchentlich einen neuen Schub, das Ende ist nicht absehbar. Kleinere Kriege wie an der Cote d’Ivoire oder in Libyen werden nach Belieben geführt, größere behalten sich die USA vor. Zehntausende Tote durch ihre Kriegführung werden von der NATO schlicht geleugnet. Breite Zustimmung findet das politische und sonstige Führungspersonal nicht mehr, im Gegenteil. Ist es da nicht ein zu zärtlicher Umgang mit den Verhältnissen, wenn nicht laut und deutlich und als Ausgangspunkt gesagt wird: Kapitalismus ist Krise, Verarmung immer größerer Gruppen, Naturzerstörung und Krieg, ist mit Demokratie letztlich unvereinbar? Muß die Analyse nicht genauer und damit härter ausfallen, um eine richtige Strategie zu formulieren?

    Heinz Bierbaum:

    Ja, in der Tat ist es aus meiner Sicht richtig, daß das Programm weiter diskutiert werden muß. Es ist zwar in Erfurt mit großer Mehrheit angenommen worden, hat aber bestimmte Schwächen. An manchen Stellen muß es noch vertieft werden. Wie die Strategie zur Umsetzung dieses Programms aussieht, muß weiter diskutiert werden. Was die Analyse angeht, so mag man sagen, daß sie vielleicht zu harmlos sei, aber immerhin, – und das ist nicht wenig, muß ich schon mal festhalten, – wird in diesem Programm sehr deutlich formuliert, daß es notwenig ist, eine andere Gesellschaft, eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufzubauen.

    Das ist als Zielsetzung ziemlich klar. Im Kapitel dieses Programms »Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation« werden einige Entwicklungsstadien des Kapitalismus aufgeführt. Es geht auch auf das Thema Finanzmarktkapitalismus ein, sowie auf die verheerenden Wirkungen des gegenwärtigen Stadiums des Kapitalismus. Das kann man möglicherweise noch vertiefen oder dahingehend zuspitzen, daß wir es mit der Grundsituation einer strukturellen Überakkumulation des Kapitals zu tun haben, mit einer entsprechenden Dominanz der Finanzmärkte, mit zerstörerischen Wirkungen. Es wird darauf hingewiesen, daß nach wie vor imperialistische Kriege geführt werden. Wir haben eine soziale Zerstörung, wir haben Unterdrückung in der Welt. Der entscheidende Punkt ist aber, wie kommen wir – die Frage wirft auch Andreas Wehr auf, der ja durchaus konstatiert, daß unsere Analysen antikapitalistisch seien – wie kommen wir zu einer Strategie? Und ich glaube, da liegt das Hauptproblem. Nicht nur für die Partei Die Linke, sondern für die linke Bewegung insgesamt. Es stimmt, daß wir eine Situation haben, in der die Legitimationsbasis der herrschenden Politik bröckelt.. Es ist ja schon interessant, daß beispielsweise im Feuilleton der FAZ und auch in der Financial Times Deutschland sehr harte Kritik formuliert wird, daß Beiträge veröffentlicht werden, wie kürzlich beispielsweise ein Artikel des Ökonomen Michael Hudson mit der Überschrift, daß die Banken dem Volk den Krieg erklärt hätten. Die Legitimationsbasis bröckelt, aber das wirkt sich bisher nicht so aus, daß eine Alternative greifbar wird. Das ist eines der zentralen Probleme. Ich sehe zwei Ansatzpunkte, die im Programm angesprochen sind, die aber nach meinem Dafürhalten vertieft werden müssen.

    Das eine ist die Eigentumsfrage. Die wird ja gerade von oben gestellt in der gegenwärtigen – ich nenn’ es mal abkürzend Eurokrise, obwohl ich natürlich weiß, daß es weder nur um eine Krise des Euros noch um eine Krise der Staatsschulden handelt, sondern um eine Krise der kapitalistischen Entwicklung. (...) So notwendig Maßnahmen wie beispielsweise eine Regulierung der Finanzmärkte sind, ist es damit nicht getan. Zumindest die Großbanken müssen verstaatlicht werden, wie wir das auch gut im Programm dargestellt haben. Zentral ist aber auch die Demokratiefrage. Wir erleben zur Zeit eine Situation, in der Parlamente nicht mehr gehört werden. Demokratische und gewerkschaftliche Errungenschaften werden mit einem Federstrich beseitigt. Die Frage der Demokratie stellt sich auch in der Wirtschaft. Das ist meiner Ansicht nach der Hebel, um eine gesellschaftliche Alternative so darzustellen, daß sie hegemoniefähiger wird.

    Arnold Schölzel, Frage an Georg ­Fülberth:

    Du vermutest, daß wir es seit 2007 mit der vierten systemischen Krise in der Geschichte des Kapitalismus zu tun haben, an deren Ende nicht die Überwindung des Kapitalismus stehen wird, sondern wie schon bei den vorangegangenen Krisen nur das Verschwinden des Kapitalismus, »wie man ihn kannte«, und das Kommen eines neuen. Die Frage nach der »Barbarei«, die du als Metapher für Zivilisationsbruch und den wiederum nicht als Regression, sondern als »etwas Modernes« bezeichnest, stellt sich demnach nicht. Ist das »ruchloser Optimismus«, den Schopenhauer bei Hegel und dessen Schülern sah? Warum nicht von Imperialismus, also Monopolkapitalismus und dem bestimmenden Produktionsverhältnis sprechen, dem Monopol, von imperialistischer Konkurrenz, Kampf um Rohstoffe, um strategische Positionen und permanentem Krieg, von Irrationalismus, Antidemokratie, also Niedergang im Überbau, was wiederum die Produktivkraftentwicklung entschieden behindert. Verordnest du – bei aller Betonung der Eigentumsfrage – nicht letztlich der Linken eine Politik ausschließlich im Rahmen des Kapitalismus, als dessen Einschränkung, nicht von seiner Überwindung? Ist da nicht etwas mehr Empörung nötig?

    Georg Fülberth:

    Vielleicht wurde ich da mißverstanden, denn ich sage: Das Aggressionspotential des Kapitalismus ist viel größer als das Aggressionspotential der vergangenen Gesellschaftsformen. Wenn ich ihn vergleiche mit der Barbarei zwischen Urgesellschaft und Zivilisation, dann meine ich, er ist schlimmer. Das heutige Zerstörungspotential des Kapitalismus bedeutet, daß er alles Leben auslöschen kann. Dazu haben die alten Barbaren mit ihren Faustkeilen keine Chance gehabt. Der Kapitalismus ist moderner, schlimmer, zerstörerischer. Zur Frage der Empörung. Rosa Luxemburg hatte eine Doppelbegabung: Sie konnte sich fürchterlich aufregen und trotzdem war sie bei so klarem Verstand, daß die Empörung nicht gestört hat. Wer zum Analysieren geringere Gaben hat, sollte sich die Empörung verkneifen. (...)

    Wenn der Kapitalismus weiterbesteht, transformiert er sich. Ich denke mir schon, daß diese völlig ungeregelte Spekulation in der Form nicht fortgesetzt wird. Aber was bedeutet das?

    Es wird wahrscheinlich zumindest versucht werden, dieselben Renditen, die Jahrzehnte lang an den Börsen erzielt wurden, weiterhin zu erzielen, indem noch höherer Druck auf die Arbeitsmärkte, noch mehr Druck auf die Löhne und die öffentlich-rechtlichen sozialen Sicherungssysteme ausgeübt wird. (…)

    Die Gewaltförmigkeit der Politik wird zunehmen, die Bundeswehr wird zur Interventionsarmee ausgebaut, um an Rohstoffe heranzukommen. Auch der Druck auf die informationelle Selbstbestimmung nimmt zu. Dietmar Dath hat zutreffend vermutet, die Entdeckung eines Staatstrojaners 2011 bedeute einen ähnlichen Einschnitt wie 1986 Tschernobyl. Wenn so ein popeliges Landeskriminalamt mit einer offensichtlich nicht besonders guten Software dafür sorgen kann, daß nicht nur Computer ausgespäht werden, sondern Computer so manipuliert werden, daß sie Dinge tun, die ich nicht will, dann kann das jeder Konzern viel besser. (…)

    Zum Parteiprogramm der Linken: Man hat diesem Programm vorgeworfen, daß die Eigentumsfrage gestellt wird. Das ist richtig. Die Eigentumsfrage ist aber eigentlich nicht erst durch Die Linke gestellt worden. Man hat öffentliches Eigentum im Osten abgeräumt, öffentliches Eigentum im Westen abgeräumt. Die Eigentumsfrage steht – sie wird vom Kapital gestellt. (…)

    Es kommt darauf an, daß die Eigentumsfrage von links gestellt wird. Es geht um den Kampf gegen Bellizismus – ganz schwieriges Thema, sowie um den Kampf für informationelle Selbstbestimmung und Kampf gegen informationelle Fremdbestimmung.

    (…) Die Frage ist, wer soll es machen? Und da wünsche ich mir zum Schluß, daß ich nach einem Jahr wieder etwas von dieser Partei höre. 2011 hat sie sich vor allem mit K- und P-Fragen beschäftigt.

    K wie »Kuba-Diskussion« und »Kommunismusspektakel« und P wie »Palästina« oder »Personal«.

    Mal sehen, wie das 2012 wird. Ich würde gern mehr vom Programm hören, und ich würde mich freuen, wenn ich allmählich den Eindruck bekäme, daß diese Partei ihr Programm auch ernst nähme.

    Arnold Schölzel, Frage an Dietmar Dath:

    Sie sehen die Lage etwas düsterer, wenn ich richtig interpretiere, was Sie in »Maschinenwinter« 2008 geschrieben haben. Ich zitiere: »Eine hochtechnisierte Zivilisation, die nicht als freier Verein freier Produzenten nach den wissenschaftlichen Einsichten plant, die ihren Stoffwechsel mit der Natur bestimmen, kann ins Grauen einer nachwissenschaftlichen Technik münden, die von (schwarzer) Magie wirkliche nicht mehr zu unterscheiden wäre – in ein kybernetisches Dunkles Zeitalter, neben dem die Epoche der Hexenverbrennungen sich wie der schwedische Sozialstaat ausnähme.« Sie werfen dort und in den in junge Welt abgedruckten Auszügen aus Ihrem neuen Buch »Implex«, das Sie gemeinsam mit Barbara Kirchner geschrieben haben und das in wenigen Wochen erscheint, nun die Organisationsfrage auf. Wie gelingt es in einer vom Kapitalismus weltweit verwüsteten und zerklüfteten Gesellschaft, im Zeitalter des »Informationsfeudalismus« und wenn nach Schernikau Staatspolitik Militärpolitik ist und Bürgerinitiativen Pipifax sind, von partikularer Interessenvertretung zu universaler zu kommen, also zu Programm, Strategie und Taktik?

    Dietmar Dath:

    Zur Barbarei: Ich glaube, daß Georg Fülberth philologisch völlig recht hat. Es ist tatsächlich verniedlichend. Man denkt da an Leute, die sich mit Knüppeln hauen, Pferde schlachten und ihren Met aus den Schädeln besiegter Feinde trinken. Wobei man hört, daß das zumindest bei den Marines auch schon wieder vorkommt. Aber wenn man jetzt mal nicht philologisch, sondern arbeits- oder herrschaftsgeschichtlich darüber nachdenkt, was mit der Barbarei als Alternative zum Sozialismus bei Luxemburg gemeint gewesen sein könnte, dann hab’ ich mir das immer so erklärt: Die ersten Formen der Herrschaft sind sehr unmittelbar. Da gibt’s halt was auf den Kopf. Da gibt’s die Peitsche, da gibt’s vielleicht in der Sklavenhaltergesellschaft jemanden, der in der Galeere trommelt und so weiter. Dann wird das immer – das hat sich das Bürgertum sehr zugute gehalten, immer abstrakter, immer vermittelter. (…)

    Zunächst mal haben wir dann Feudalismus: Das ist der Besitztitel an dem Land, auf dem ihr lebt, deshalb gehört ihr uns; da kann man aber auch noch die Leute auf der Straße niederknüppeln, und weil man einem höheren Stand angehört, ist das nicht strafbar – oder jedenfalls vernachlässigbar strafbar. Und dann wird’s noch abstrakter, dann werden’s Verträge, denn irgendwann rechnen die das aus. Dann halten sie sich sehr zugute, daß sie die Sklaven freilassen. Das tun sie aber unter anderem deswegen. Wenn das Zeug keinen Absatz findet, müßte man Sklaven trotzdem weiter durchfüttern. Wenn sie dagegen Lohnarbeiter sind, verhungern sie halt irgendwo – das ist dann der Zivilisationsfortschritt, auf den man sich so viel einbildet.

    Und nun könnte man sich eben vorstellen – das ist alles noch nicht von mir, das ist alles noch Marx – jetzt könnte man sich vorstellen, das wird immer abstrakter. Oder es kollabiert irgendwann in die unmittelbare Herrschaft zurück. Und ich glaube, das meinte Rosa Luxemburg mit Barbarei. Das heißt, sie meinte, daß es tatsächlich wieder was auf den Kopf gibt. Und wenn ich mir den Kapitalismus sogar ohne Kriege angucke, sogar ohne Marines, die auf die Körper ihrer Opfer urinieren, dann habe ich ein System, das in den reichsten Zonen, in den Metropolen die Kinder mit Drogen vollhaut, wenn sie nicht in dieses Schulsystem reinpassen, also sehr in den Körper hineinherrscht, das die Bewegungsformen der Leute dahingehend kontrolliert, daß ein paar tausend im Straßenverkehr jedes Jahr verrecken, weil man kein ordentliches Nahverkehrssystem ausbaut, denn – das würde ja kosten, das wäre ja Gemeineigentum. Statt dessen verkloppt man dieses Gemeineigentum an irgendwelche Investoren, die dann überall die Stationen streichen, weil sie sagen, das kostet viel – na ja, genau wie beim Bankenretten auch –, die Kosten werden halt verteilt auf die Leute, die trotzdem irgendwie nach Hause müssen. Dann werden vielleicht ein paar Autos mehr verkauft, und jeder Idiot, der sich irgendwie einen Jeep leisten kann oder einen Hummer, fährt einen Panzer durch die Innenstadt, und wenn der ein bißchen zu schnell fährt, ist das Kind halt tot. Angestellte sitzen dann in irgendwelchen Großraumbüros, wo die Klimaanlagen die Gesundheit kaputt machen, und arbeiten bis zum Burnout. (...)

    Wenn das nicht unmittelbare Herrschaft über die Körper und Barbarei ist, dann weiß ich nicht, was es sonst ist. (...)

    Ich hab’ jetzt die angenehmen Zonen beschrieben, nach denen sich Leute aus anderen Weltteilen sehnen, weswegen sie hierher kommen. So. Das ist also der Luxusteil.

    Jetzt zur Strategie. Es gibt so einen, durchaus auch bürgerlichen, Linkstrend. So ein bißchen, daß man halt die Schnauze voll hat von Leuten wie George Bush und diesem Cheney, die sich unmittelbar an so einem Krieg bereichern. Oder wenn so ein Guttenberg in Verschiß gerät oder so ein Wulff. Man kann das irgendwie nobel finden im Sinne der Korruptionsbekämpfung, man könnte aber auch einen Zusammenhang sehen zu dem, was Georg Fülberth gesagt hat, nämlich: Wenn der Ton jetzt noch härter wird, was nach jeder Krise passiert, weil jede Krise als Umverteilungsgelegenheit genutzt wird, dann braucht man halt eine andere Garde, dann braucht man nicht mehr diese Kasperfiguren, sondern wieder jemanden mit deutschen Sekundärtugenden. (...)

    Zum Schluß: Verstaatlichung von zwei Seiten.

    Der Staat ist ja nicht irgendein Staat, sondern im Kapitalismus ein kapitalistischer Staat. Er ist dafür da, die Märkte zu garantieren, er ist dafür da, die Verträge zu schützen, und zwar die ungerechten, den ungerechten Tausch und all dieses Zeug. Es ist tatsächlich so, daß ein gewisses Quantum Verstaatlichung schon immer dazugehört hat. Zum Beispiel, wenn der Onkel Dagobert alles verzockt hat, dann geht das Fähnlein Fieselschweif mit den Mützen rum und sammelt bei den Armen, damit die Bank nicht Pleite macht.

    (…) Die Vergesellschaftung von Energie, von Informationen und so weiter muß auf der Ebene stattfinden, wo die Leute produzieren. So etwas wird nicht ausschließlich im Parlament entschieden. Aber man kann das Parlament natürlich als Tribüne nutzen.

    Und wenn man das nicht macht, wenn man statt dessen das Parlament nutzt, und sich Leuten, die sich fremde Arbeit auf inzwischen wieder sehr unmittelbare Art aneignen können, als sozialer Friedensstifter und Unterhändler anbietet, hat man eben die Geschichte einer Partei, die zuerst den Bernstein hervorbringt, dann die Kriegskredite gut findet, dann den Radikalenerlaß, das KPD-Verbot, den NATO-Doppelbeschluß, die Bundeswehr fit macht, die Hartz-Schweinerei durchzieht. (...)

    Und wenn man also fragt, wie wünsche ich mir die Strategie, so daß all das bitte nicht passiert.

    Arnold Schölzel, Frage an Jutta ­Ditfurth:

    Deutschland ist in den vergangenen 22 Jahren weit vorangekommen: Die Bundeskanzlerin teilt Sarkozy nur noch mit, wenn sie anordnet, Griechenland keine Kreditrate auszuzahlen. In der jährlichen Vorausschau der US-Agentur Stratfor, die auch als »Schatten-CIA« bezeichnet wird, für 2012 heißt es, daß Deutschland in der Finanzkrise eine Gelegenheit sieht, durch Nutzung seiner finanziellen und ökonomischen Überlegenheit die Struktur der Euro-Zone zu seinen Gunsten zu verändern. Es werde wahrscheinlich – Stichwort Fiskalunion – den Verlust der Budgethoheit und damit der Souveränität mehrerer Euro-Staaten durchsetzen.

    1990, mitten in der nationalistischen Aufwallung, die dem DDR-Anschluß folgte und deren Resultat u. a. das staatlich finanzierte Neonazinetzwerk ist, bot die Grüne Antje Vollmer im Bundestag geistige Hilfe bei der neuen Weltmachtrolle der Bundesrepublik an. Die Grünen in der Regierung standen 1999 an der Spitze der Kriegshetzer beim NATO-Angriffskrieg gegen Serbien und Montenegro. Sie haben sich gerade wieder bewährt als staatstragende Partei in Baden-Württemberg und setzten den Widerstand gegen »Stuttgart 21« – wie Du in »Krieg, Atom, Armut« vor einem Jahr geschrieben hast, von der Straße vor den Fernseher. Schicksal linker Organisationen?

    Jutta Ditfurth:

    Stichwort EU-Diktatur, tja, das war jetzt die kürzest mögliche Fassung, aber dahinter verbirgt sich natürlich etwas, was in bestimmten linken wissenschaftlichen Kreisen unter dem Stichwort geostrategische Interessen deutscher Außenpolitik nicht erst seit Wilhelm schon länger diskutiert wird. Da gibt es ziemlich schlaue Bücher drüber. Was wir jetzt beobachten können ist etwas, wofür wir vor zehn Jahren noch ausgelacht worden wären, hätten wir gesagt, Deutschland ist auf dem Weg, strebt an, will werden, die Struktur zwingt das System dazu, es werden zu wollen, nämlich Führungsnation in Europa. Und jetzt ist es schon fast als Normalzustand abgehakt. Ich erinnere mich noch an Schwachsinnsdebatten aus den 90ern, mit irgendwelchen Grünlingen und anderen Leuten, auch Reformisten aus der SPD, und ich glaube, ich habe solche Texte auch bei der DKP gelesen. Da wurde über Zivilgesellschaft geplappert und darüber, daß man den Kapitalismus zähmen könne. Dieser ziemlich bekiffte Traum zieht sich auch durch das linke Programm.

    Das zweite ist die Frage – und die war so gut gestellt, ich hätte es selber nicht besser zusammenfassen können: Ja, es gibt ein staatlich finanziertes Nazinetzwerk, die NSU und andere faschistische Organisationen, man sollte sie nicht mehr »Neonazis« nennen. (...)

    Diese Netzwerke gäbe es nicht ohne staatliche Finanzierung, und deswegen löst man das Problem auch nicht, obwohl ich eigentlich dafür bin, durch ein NPD-Verbot. Das ist nur eine Beruhigungstaktik, weil es die faschistischen Strukturen in Teilen der Institutionen – und vor allem den Rassismus in dieser Gesellschaft und den Antisemitismus in seinen Spielarten gibt. Der läßt sich ja leider nicht verbieten. Der blüht dann anderweitig weiter, und ich weiß auch nicht, ob man einen Sarrazin verbieten kann – kann man nicht. Aber man begreift in dem Moment, wo der in München im Literaturhaus sitzt und selbst bei ganz moderat, ich würde sagen, biederbraven, höflichen Fragen – nicht so welchen, die ich gestellt hätte –, vor bürgerlichem Publikum, die Leute ausgebuht und fast rausgeschmissen werden – es war ein Mob, der sich da äußerte. In dem Moment sind wir mitten in Deutschland, und dann nützt auch kein NPD-Verbot etwas, weil wir diese Kreise damit nicht erreichen.

    Jetzt möchte ich gern den Sprung machen zu dem, was andere gesagt haben und was mich besonders kitzelt, darauf einzugehen, und meiner Rolle gerecht zu werden, den Reformismus niederzumachen – ich hoffe mit einigem Erfolg. Nötig ist immer wieder der Verweis auf den wunderbarsten aller Klassiker, nämlich Marx, aber auch noch ein paar andere Autoren, ich kann das ja offenlegen, schätzen tue ich zum Beispiel auch Luxemburg, aber auch Krahl, Marcuse und noch so ein paar andere, damit ihr irgendwo wißt, wo das herkommt, was ich so denke.

    Wir haben einen Krieg, der ist längst erklärt, das muß man sich nicht andauernd erzählen, den Krieg haben Milliardäre erklärt, und sie haben auch gleich angekündigt, vor fast zehn Jahren jetzt, daß sie diesen Krieg gewinnen werden. (…)

    Dieses System herrscht weltweit, und was mich an diesem linken Programm so ärgert: Es gibt ein paar Bonbons für den linkeren Teil der Partei, aber die Hauptlinie heißt: Kapitalismus ist reformierbar. Und dann soll man immer klatschen und sich freuen, wenn einer sagt, ich will aber wirklich keinen Krieg. (...)

    Kapitalismus ist schon in seinem menschenzerstörenden und naturplündernden Normalzustand unser Problem, ist täglicher Krieg und täglicher Terror. Was über diesen terroristischen Normalzustand hinaus geht, das zusätzliche Dilemma des Kapitalismus ist seine Krisenhaftigkeit. Deshalb kommt es zu diesen systemischen Schüben und verschiedenen Schritten und Wandlungsformen, aber immer nur innerhalb des Kapitalismus – es wird nicht was anderes, Besseres draus, und schon gar nicht eine andere, bessere Welt. So groß sind die Risse nicht. Und so groß ist auch die Legitimationskrise nicht. Diese Überproduktionskrisen, die regelmäßig kommen wie eine Krankheit, wie eine Grippe im Winter, sind eine Gesetzmäßigkeit. Was aber immer unterschätzt wird von vielen Linken, auch von vielen linken Strömungen außerparlamentarischer Art, ist die äußerste Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus, einerseits den Feudalismus abgeschafft zu haben, aber andererseits das Patriarchat zu übernehmen, was in diesem Programm komischerweise neben dem Kapitalismus steht, als ob es etwas Eigenes sei, genau wie die Ökologie daneben steht und nicht Teil des Kernproblems ist. (...)

    Wie Herbert Marcuse das 1967 auch in Berlin sagte: Die Utopie ist an ihrem Ende, weil alle Techniken entwickelt sind, um den Menschen und die Natur zu zerstören; aber auch alle Mittel entwickelt sind, mit ein paar Variationen, um die Welt zu einer menschenwürdigen zu machen mit einer Ökologie, die den Menschen nicht zerstört und nicht krank werden läßt. Aber die Ruinierung des Menschen und der Natur bleiben eben profitabler als ihr Glück und ihre Freiheit und die soziale Gleichheit, die ja unser Wertmaßstab sein muß. Die Sache ist also nicht die Frage fehlender Alternativen, sondern eine der Herrschaft von Staat und Kapital – und wann und mit welchem Ziel wir mit ihr brechen können.

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    Internationale zum Dessert

    Mit der gemeinsam gesungenen Internationale endete gegen 20.30 Uhr der offizielle Teil der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Berliner Urania-Haus. Die Dolmetscherinnen und Dolmetscher hatten tapfer durchgehalten.

    Zum Abschluß der Podiumsdiskussion »Sozialismus oder Barbarei – welche Rolle spielt Die Linke?« sagte jW-Chefredakteur Arnold Schölzel: »Ich erkläre mich für fast gescheitert bei dem Versuch, dieses Podium zu spalten. Die Trauer darüber wird aber überkompensiert durch das, was wir heute abend hier gehört haben.«

    Auf dem Podium hatten sich der stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, Heinz Bierbaum, die Frankfurter Publizistin und ÖkoLinks-Stadtverordnete Jutta Ditfurth und der Politikwissenschaftler Georg Fülberth sowie der Journalist und Autor Dietmar Dath über wichtige Zukunftsfragen ausgetauscht.

    Einen Schwerpunkt bildete dabei die Unvereinbarkeit von Ökologie und kapitalistischer Verwertungslogik. Bierbaum fand zwar die Ausführungen von Dath und Ditfurt »etwas zu apokalyptisch«. Er selbst sei aber auch »entschieden nicht der Auffassung«, daß Kapitalismus reformierbar sei. Das Programm der Linkspartei habe »eine klare sozialistische Perspektive«. Es gebe aber innerhalb der Partei »eine Diskussion über die Reichweite der zivilisatorischen Tendenzen des Kapitals«.

    Die Diskussion wurde per Livestream im Internet übertragen. Eine Zusammenfassung erscheint am Montag in der Printausgabe der jungen Welt. (jW)

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    Agrobusiness blockiert Agrarreform in Brasilien

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    Geraldo Gasparin vertritt eine der größten sozialen Bewegungen der Welt, den MST

    Immer stärker kontrollieren »modernisierte« Großgrundbesitzer die brasilianische Landwirtschaft. Darauf machte in seinem Referat der Vertreter der brasilianischen Landlosenbewegung »Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra« (MST), Geraldo Gasparin, aufmerksam.

    Ihre ökonomische und ideologische Vormacht und Kontrolle über Markt und Preise für landwirtschaftliche Produkte basiere auf einem Klassenbündnis zwischen transnationalen Unternehmen, Finanzkapital, großen Medien und Latifundisten, welche die Commodities  (standardisierbare landwirtschaftliche Produkte) herstellen. Die 50 größten Agrarindustriebetriebe mit ausländischem und nationalem Kapital kontrollieren in Brasilien praktisch deren gesamte Produktion.

    Dabei setzt sich, so Gasparin, immer stärker die Monokultur spezialisierter Produkte durch. Die brasilianischen und ausländischen Unternehmer investieren immer stärker in die Soja-, Mais- und Zuckerrohrproduktion. Durch intensive Mechanisierung fallen Arbeitsplätze weg. Chemische Düngemittel und Agrargifte kommen unbeschränkt zum Einsatz. Transnationale Agrargifteproduzenten dominieren auch das, häufig gentechnisch angepasste, Saatgut.

    Seit 2008 fließt verstärkt Finanzkapital und fiktives Kapital in die Länder des Südens - eingesetzt zur Aneignung der Natur – zum Kauf von Land, natürlichen Ressourcen und landwirtschaftlichen Produzenten. In Brasilien werden jährlich etwa 80 Milliarden Dollar ausländischen Kapitals in natürliche Ressourcen investiert.

    Acht Jahre Lula-Regierung haben am brasilianischen makro-ökonomischen Modell praktisch nichts verändert, schätzt der MST-Vertreter ein. Unter der ebenfalls von der Arbeiterpartei PT stammenden Präsidentin Dilma Rousseff hat sich der Prozeß der Agrarreform - einem zentralen Kampffeld der Landlosen - sogar noch weiter verlangsamt.

    Die Bodenpreise sind gestiegen  und durch die die Entwicklung des exportorientierten Agrobusiness werden Flächen blockiert, die für die Expansion späterer Geschäfte nicht kultiviert werden.

    Besonders dramatisch schätzt der MST die Bedrohung von Mensch und Umwelt durch den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln und anderen giftigen Agrarchemikalien ein. Diese zerstören die Biodiversität und beein­träch­tigen  die menschliche Gesundheit, indem sie Krebs und andere Krankheiten ver­ur­sachen. Fazit: Das Modell des Agrobusiness ist nicht in der Lage, gesunde Nahrung zu produzieren.
       

    Nur eine Million der etwa 4,8 Millionen landwirtschaftlichen Klein- und Familienbetriebe Brasiliens ist in den Markt integriert. Der großen Mehrzahl ist der Weg dahin versperrt und sie produzieren praktisch nur für den Eigenbedarf. Das Kapital betreibt landwirtschaftliche Produktion ohne Landwirte und mit wenigen Arbeitskräften. Verstärkte Migration und Entvölkerung des Binnenlandes sind die Folge.

    Ein Schwerpunkt des MST ist die Verteidigung jener brasilianischen Umweltgesetze - wie das Waldgesetz -, die ein  Hindernis für das Vorankommen des Kapitals in der Land­wirt­schaft darstellen. Hierzu sollen große Kampagnen durchgeführt werden, genauso gegen den Einsatz von Agrargiften (im Umfeld der Konferenz Rio+20). Für eine wirkliche Agrarreform soll es auch 2012 Mobilisierungen geben, Besetzungen von brachliegenden Latifundien, neue Feldlager.

    Seine Bewegung - als große, sozialistisch orientierte Massenbewegung, unterstrich Gasparin, sehe die aktuelle Herausforderung darin, Organisation und Bewußtseinsbildung zu verstärken, um der Offensive des Kapitals entgegen­zutreten und soziale Errungenschaften für das brasilianische Volk zu erkämpfen. (pst)

    Die vollständigen Inhalte aller Referate werden in einer Sonderbeiolage der jungen Welt und in der Broschüre zur Rosa-Luxemburg-Konferenz 2012 veröffentlicht.

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    Ab 18 Uhr: Podiumsdiskussion als Livestream!

    jW-Team
    Voraussichtlich um 18 Uhr beginnt im Berliner Urania-Haus die Podiumsdiskussion »Sozialismus oder Barbarei – welche Rolle spielt Die Linke?«, die als Livestream im Internet übertragen wird.

    Es diskutieren Heinz Bierbaum, stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke sowie Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und Leiter des hochschulansässigen INFO-Instituts, Jutta Ditfurth, Publizistin, Buchautorin und Stadtverordnete von ÖkoLinX-ARL im Frankfurter Römer sowie Georg Fülberth, emeritierter Professor für Politikwissenschaft sowie Dietmar Dath, Autor und Journalist.


    Bisher haben sich rund 1750 Zuhörer in der Urania eingefunden, zur Podiumsdiskussion werden insgesamt rund 2000 erwartet. (jW)


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    Cuban Five: »Zum Glück wächst auch die Hoffnung«

    Aus dem Bundesgefängnis in Georgia, USA erreichte die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2012 diese Botschaft der inhaftierten Kubaner Antonio Guerrero, René González, Gerardo Hernández, Fernando González und Ramón Labñino Salazar, bekannt als »Cuban Five«:

    Liebe Genossinnen und Genossen,

    die Welt, in der wir heute leben, unterscheidet sich nicht sehr von der, die in der Zeit unserer geliebten Rosa Luxemburg existiert hat.

    Der Imperialismus in seiner letzten und finalen Phase überfällt weiter unsere Völker und überzieht sie mit furchtbaren Kriegen, deren einziges Ziel es ist, Gebiete zu besetzen, um wichtige Naturressourcen zu kontrollieren und mit der Ausrottung des Planeten und der Existenz der menschlichen Gattung fortzufahren.

    Die von der Habsucht des Kapitals verursachte globale Erwärmung nimmt zu. Ebenso nehmen der Hunger, die Krankheiten und auch die sozialen und territorialen Ungerechtigkeiten zu.

    Die zyklischen Krisen des Kapitalismus werden immer häufiger, tiefgreifender und länger. So war es in der jüngsten internationalen Banken- und Finanzkrise, die ganze Nationen zerstört, und zwar immer die ärmsten, die Regierungen ändert – obwohl an deren Spitze die selben Politiker stehen, die die Unternehmen und Großkonzerne beschützen -, und die die gesamte Last der Schulden und der Habgier der Reichen auf die Arbeiter und Unterdrückten ablädt.

    Aber das Schlimmste ist, daß es immer wenige Auswege aus diesen Krisen gibt, so daß der Tag kommen wird, an dem der Imperialismus, um seine Herrschaft zu verewigen, zu seiner extremen faschistischen Phase zurückkehren wird, um eine oberste Weltregierung zu schaffen, die alle anderen Wesen des Planeten in Sklaverei hält. Das ist fast die einzige Option, die ihnen noch bleibt, und die wir in ihrem gegenwärtigen kriegerischen Vorgehen bereits erkennen können.

    Zum Glück wächst auch die Hoffnung. Die sozialen Bewegungen wachsen, darunter die Gruppen der »Empörten«, die »Occupy Wall Street«-Bewegung und alle unsere Völker, die in der einen oder anderen Weise Wege suchen, die Anstrengungen der 99 Prozent der Menschheit zu befördern.

    Wir müssen uns besser organisieren und standfestere und entschlossenere Führungspersönlichkeiten haben. Wir müssen uns ein Arbeitsprogramm geben, unsere feste und unerschütterliche Einheit schaffen und dort, wo es in einigen Fällen und Ländern möglich ist, dafür sorgen, daß diese sozialen Bewegungen zu Parteien oder politischen Kräften werden, die in der Lage sind, die Wahlen zu gewinnen, damit die Macht der großen Mehrheit der Unterdrückten, die den Planeten bevölkern, dient, und nicht mehr dem Kapital.

    Es ist die Stimme von Rosa, die uns vorantreibt und uns heute mehr denn je Orientierung gibt: Nur der Sozialismus wird uns vor der Barbarei retten!

    In unserem Lateinamerika erleben wir mit der Schaffung der CELAC (Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik) wirklich umwälzende historische Augenblicke. Diese Organisation läßt sich gestützt auf Brüderlichkeit, Solidarität und Zusammenarbeit von Beziehungen leiten, die die Differenzen, die nationale Souveränität und die Unabhängigkeit respektieren.

    Dies ist unsere bescheidene Ehrung für die Frau, die ihr Leben für diese bessere Welt gegeben hat, die wir alle so sehr brauchen, und die uns heute in diesem Saal zusammengebracht hat.

    Aus den Gefängnissen der USA, in denen sie uns ungerechtfertigt gefangenhalten, senden Euch eure fünf kubanischen Brüder die den Ruf und das Beispiel von Rosa Luxemburg bewundern und ehrenvoll verteidigen, unsere Herzlichkeit und Zuneigung.

    Gemeinsam werden wir siegen!

    Fünf ewige Umarmungen!

    Antonio Guerrero

    René González

    Gerardo Hernández

    Fernando González

    Ramón Labñino Salazar

    Bundeshaftanstalt Jesup, Georgia (USA)
    10. Januar 2012, 9.53 Uhr

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    »Runter vom Balkon«

    Das Kulturprogramm der Rosa-Luxemburg-Konferenz hat begonnen. Rolf Becker liest aus dem Roman »Zündschnüre« von Franz Josef Degenhardt, den der Kulturmaschinen-Verlag im Rahmen einer Werksausgabe neu aufgelegt hat. Der proletarische Jugendroman ist in den letzten Kriegsjahren angesiedelt und erstmals 1973 erschienen. Degenhardt wäre im Dezember 80 Jahre alt geworden. »Zündschnüre« sei die »Wunschbiographie« seines Vaters gewesen, sagt Kai Degenhardt, der anschließend zur Gitarre greift. Wie »Väterchen Franz« ist auch Sohn Kai ausgebildeter Rechtsanwalt und Liedermacher.

    Einigen Zuhörern war es neu, daß sein Vater Texte wie »Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf« später zurückgenommen hatte. Einige nehmen das wohlwollend, andere etwas enttäuscht zur Kenntnis.

    Franz Josef Degenhardt:

    Nostalgia


    Genossinnen, Genossen,


    wir haben uns genossen und auch den Wein im schwarzen Krug.
    Hinter den viel zu starken Sätzen, den zersprungenen Gitarren,
    hörten wir auch die Signale nicht mehr klar genug.
    Das Morgenrot, es streut schon seine Rosen,
    in den Straßen stehen Leute, und die singen schon.
    Und es werden immer mehr.
    Die brauchen neue Lieder, neu geschriebene Blätter.
    Also los, kommt runter vom Balkon.

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    Solidaritätsadresse aus der Türkei

    Auch der Abgeordnete des türkischen Parlaments, Ertugrul Kürkcü, hat soeben ein Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz gehalten.

    Kürkcü ist einer der bekanntesten Vertreter der 68er Generation in der Türkei. Er war Vorsitzender der Revolutionären Jugendföderation Dev Genc und Mitbegründer der Stadtguerilla THKP-C. 1972 war er an der Entführung von drei NATO-Technikern beteiligt, um zum Tode verurteilte Genossen freizukämpfen.

    Als einziger überlebte er 1972 in Kizildere ein Massaker der Armee an seiner Guerillaeinheit und wurde anschließend bis 1984 inhaftiert. Nach seiner Freilassung war Kürkcü in verschiedenen sozialistischen Parteien und in der linken Presse aktiv. Im Juni 2011 wurde Kürkcü als Direktkandidat für den aus sozialistischen und prokurdischen Parteien gebildeten Block für Arbeit, Demokratie und Freiheit in der Stadt Mersin in das Türkische Parlament gewählt, wo er heute der Fraktion der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie BDP angehört.

    Rosa Luxemburg sei für die Sozialisten in der Türkei eine wichtige Inspirationsquelle, sagte Kürkcü. Diejenigen, die heute in der Türkei im Sinne Rosa Luxemburgs für Freiheit eintreten, sehen sich starker Repression durch die allein regierende islamisch-konservative AKP-Partei ausgesetzt. Insbesondere die kurdische Befreiungsbewegung, die für demokratische Autonomie eintritt, wird verfolgt.

    Tausende Mitglieder der BDP, einschließlich Bürgermeister, Stadträte und Parlamentsabgeordnete sind heute in Haft. Während die Regierung Erdogan die Völker des Mittleren Ostens mit einer antizionistischen Rhetorik für sich einzunehmen versucht, ist sie in Wirklichkeit der engste Bündnispartner Israels und der NATO. In der Türkei wurde ein Raketenabwehrsystem der NATO errichtet, das seit Januar 2012 in Betrieb ist. Kürkcü schloß sein Grußwort mit einem Appell zur internationalen Solidarität:

    »Der Block für Arbeit, Demokratie und Freiheit kämpft für Arbeiterrechte, für die Rechte des unterdrückten kurdischen Volkes. Wir sind eure Genossen. Laßt uns gemeinsam diesen Kampf gegen Imperialismus und Kapitalismus führen.« (nib)

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    Antifaschistische Kundgebung am Rande der Konferenz

    jW-Team
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    Die SDAJ zeigt Flagge am Wittenbergplatz

    Veranstaltung am Rande der Rosa-Luxemburg-Konferenz: Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) führte eine sportliche Aktion unter dem Motto »Jugend trainiert für Dresden« auf dem Wittenbergplatz durch.

    Damit sollte auf die Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch in Dresden und die Verstrickung der Staatsbehörden in rechte Terrororganisationen, wie der Zwickauer Terrorzelle »NSU« , hingewiesen werden. Im Februar wollen tausende Faschisten mit einer Demonstration der Bombardierung Dresdens während des Zweiten Weltkriegs gedenken. Dabei blenden sie aus, dass es Nazideutschland war, das ganze Länder verwüstete, Millionen Menschen tötete und in Lager steckte. Nachdem es in den letzten zwei Jahren gelang, den Aufmarsch trotz staatlicher Repression zu verhindern, ruft dieses Jahr erneut ein breites Bündnis aus Antifa-Gruppen, Gewerkschaften, Parteien und Kirchen zu Massenblockaden auf. In diesem Sinne: »Block Dresden 2012 – Den Naziaufmarsch blockieren, bis er Geschichte ist!«

  • Mumia entwickelt hier einen fiktiven Dialog mit Rosa Luxemburg über die neue Occupy Bewegung. Er ist momentan extremer Isolationshaft im SCI Mahanoy Gefängnis ausgesetzt und konnte er den Beitrag nicht selbst sprechen. Daher haben seine Tochter Samiya und seine Literaturagentin Frances Goldin seinen Beitrag für die Konferenz in Berlin eingesprochen. Vielen Dank an alle, die mit diesem Video geholfen haben, Mumias Stimme aus der Isolation heraus hörbar zu machen. Solidarität ist eine Waffe! FREE MUMIA!

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    Freiheit für Bradley Manning und Mumia Abu-Jamal!

    jW-Team

    Die Situation der politischen Gefangenen in den USA ist auch bei der diesjährigen Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz ein Schwerpunktthema.

    jW-Autor Markus Bernhardt verlas eine Resolution des Berliner Freundeskreises für den in den in den USA inhaftierten Soldaten Bradley Manning. Dem mutmaßlichen »Whistleblower« kann bei einer Verurteilung durch ein Militärgericht im schlimmsten Fall die Todesstrafe drohen.

    Dem afroamerkianischen Journalisten Mumia Abu-Jamal, der in den 1980er Jahren als angeblicher Polizistenmörder verurteilt wurde und bereits mehrfach eine Grußbotschaft zur Rosa-Luxemburg-Konferenz beisteuerte, droht sie nun zum ersten Mal nicht mehr. Die Todesstrafe wurde in seinem Fall nach drei Jahrzehnten in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Eine weltweite Solidaritätsbewegung fordert weiterhin seine Freilassung. Als Mitglied seines Verteidigerteams spricht bei der Konferenz in Berlin soeben Johanna Fernandez.

    Dokumentiert:

    Solidaritätserklärung für Bradley Manning

    Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 17. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz erklären hiermit unsere Solidarität mit dem in den USA inhaftierten Soldaten Bradley Manning. Der junge Mann, der für die US-Army im Irak stationiert war, wurde im Mai 2010 unter dem Verdacht verhaftet, der Enthüllungsplattform »WikiLeaks« als sogenannter Whistleblower Videos und Dokumente zugespielt zu haben. Darunter jener Videomitschnitt des weltweit bekannt gewordenen US-Hubschrauberangriffs 2007 in Bagdad, bei dem die Besatzung gezielt auf Zivilisten und zwei Journalisten geschossen und diese ermordet hat. Insgesamt zwölf Personen fielen dem Luftangriff, der die Brutalität der Besatzung des Iraks für viele Menschen weltweit erschreckend sichtbar werden ließ, zum Opfer. In der Öffentlichkeit lösten besonders die Kommentare der Kampfhubschrauber-Piloten Empörung aus. Ein Pilot kommentierte den Vorfall mit »Sieh dir diese toten Bastarde an!«, während ihm ein anderer Funkteilnehmer zu den »guten Schüssen« gratulierte.

    Bradley Manning wird seitens der US-Regierung vorgeworfen, durch eine angeblich systematische Weitergabe geheimer Dokumente an »WikiLeaks« militärisches Personal und die nationale Sicherheit der USA gefährdet sowie ausländischen Geheimdiensten und Terroristen in die Hände gearbeitet zu haben. US-Außenministerin Hillary Clinton fabulierte sogar im vergangenen Jahr herbei, daß diese Enthüllungen nicht nur als Angriff auf die US-Außenpolitik, sondern auch auf die internationale Gemeinschaft zu verstehen seien. Sie kündigte an, »aggressive Schritte unternehmen« zu wollen, »um jene zur Rechenschaft zu ziehen, die diese Informationen gestohlen haben«.

    Wir hingegen finden: Anstelle von Haft und der Manning zuteil gewordenen Erniedrigung und Folter gebührt dem jungen Mann ein Preis für Zivilcourage! Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, renommierte Juristen aus der ganzen Welt und das internationale Solidaritätsnetzwerk für Bradley Manning werfen der US-Regierung eine unmenschliche Behandlung« von Manning vor und forderten die Lockerung der »erniedrigenden und illegalen«

    Haftbedingungen. Wir verurteilen aufs Schärfste, daß Bradley Manning, dem in der Isolationshaft sogar die komplette Kleidung, ein Kissen und eine Bettdecke verwehrt wurden und der nackt auf dem Boden schlafen musste, nunmehr der Prozeß vor einem Militärgericht gemacht werden soll. Wegen angeblicher »Kollaboration mit dem Feind« kann ihm sogar die Todesstrafe drohen. Derzeit strebt die Anklage an, Manning zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilen zu lassen.

    Um überhaupt etwas Positives für ihren Mandanten erreichen zu können, sehen sich Bradley Mannings Verteidiger offenbar gezwungen, gar nicht erst zu versuchen, den angeblich von ihm begangenen Geheimnisverrat zu widerlegen oder womöglich dessen Beitrag bei der Aufdeckung eines Kriegsverbrechens zu betonen. Stattdessen bitten sie um Milde und rücken die Seelennöte des schwulen Soldaten in den Vordergrund ihrer Verteidigungsstrategie. Dabei werfen sie seinen Vorgesetzten vor, Manning in der Truppe vor Ausgrenzung aufgrund seiner Homosexualität nicht hinreichend geschützt zu haben. Damals galt in den US-Streitkräften noch die »Don't ask, don't tell«-Regelung, die es Soldaten verbot, gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Öffentlichkeit zu führen. Die Vorgesetzten hätten Manning aufgrund seiner »emotionalen Probleme« niemals an

    geheime Daten lassen dürfen. Deshalb sei eine Haftstrafe von 30 Jahren »mehr als genug«, so Mannings Anwalt David Coombs. Wie erdrückend die Beweise auch sein mögen und egal, welcher Druck auf Manning während seiner Zeit beim Militär gelastet haben mag, einen solchen strategischen Rückgriff auf das Zerrbild eines »tratschsüchtigen Schwulen« lehnen wir ab.

    Wir betrachten den Fall Bradley Manning nicht isoliert, sondern ordnen ihn ein in eine Fülle an staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen Menschenrechtsaktivisten, Gegner von Krieg und Besatzung sowie die politische Linke insgesamt und weltweit. Wir, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 17. Internationalen Rosa Luxemburg-Konferenz in Berlin, fordern hier und heute von der USRegierung die umgehende Freilassung und eine angemessene finanzielle Entschädigung Bradley Mannings! In aller Deutlichkeit verurteilen wir die von den USA betriebene Kriegspolitik!

    In diesem Sinne: Freiheit für Bradley Manning und alle fortschrittlichen Gefangenen weltweit.

    Berlin, den 14. Januar 2012

    Weitere Infos, auch zu Spendenmöglichkeiten, beim

    Bradley Manning Support Network:

    http://www.bradleymanning.org/

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    17. Rosa-Luxemburg-Konferenz eröffnet

    jW-Team

    Unter dem Motto »Wir verändern die Welt« ist heute um 11 Uhr im Berliner Urania-Haus die 17. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz eröffnet worden. Nach der Begrüßung durch Moderator Dr. Seltsam und den stellvertretenden jW-Chefredakteur Rüdiger Göbel beginnt das Programm.

    Der erste Referent ist auch der jüngste: Sami Ben Ghazi, Mitglied der Direktion der Union de la jeunesse communiste de Tunisie (Union der Kommunistischen Jugend Tunesiens) war aktiver Teil der Revolte, die vor einem Jahr in Tunesien zum Sturz des Dikators Ben Ali führte.

    Er begrüßt die Konferenzteilnehmer zu ihrer großen Überraschung auf Deutsch. Als er auf die aktuelle Situation in seinem Land und Geschichte der Arbeiterbewegung Tunesiens zu sprechen kommt, wechselt er ins Französische.

    Geopolitik und Revolte

    »Die Revolution destabilisiert eine Diktatur nach der anderen«, sagt Ben Ghazi. Der stellvertretende jW-Chefredakteur Rüdiger Göbel fragt ihn später, ob man die Aufstände gegen dem Westen verbundene Regimes in Tunesien und Ägypten wirklich mit denen in Libyen oder Syrien vergleichen könne, deren Regierungen vom Westen seit Jahrzehnten bekämpft worden seien. Ben Ghazi sagt, der libysche Übergangsrat bestehe zum Teil aus Leuten, die schon im alten Regime eine wichtige Rolle gespielt hätten und nun »den Kolonialismus der NATO begrüßen.« Von guten oder schlechten Beziehungen zum Westen will er es aber nicht abhängig machen, ob ein Regime demokratisch ist.

    »Es stimmt, daß Syrien keinen guten Kontakt zu westlichen Staaten hat, aber es ist kein Regime, das die Arbeiterklasse respektiert«, sagt der Jungkommunist, »sondern eines, das das syrische Volk auch ausbeuten will.« Es gebe sowohl Diktaturen, die an die USA gebunden seien, als auch solche, die an Rußland oder China gebunden seien. Auch die Rolle der Medien und die Überprüfbarkeit der Berichte über Syrien spricht Rüdiger Göbel in der Diskussion an. Um 12.30 Uhr steht allerdings mit Geraldo Gasparin von der brasilianischen Landlosenbewegung schon der nächste Referent auf dem Plan. (jW)

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    Neuer Besucherrekord bei Rosa-Luxemburg-Konferenz erwartet

    jW-Team

    Schon vor einem Jahr zeichnete sich ab, daß die Rosa-Luxemburg-Konferenz bald zu groß für das Urania-Haus in Berlin sein wird. Für den morgigen Samstag deutet sich ein neuer Besucherrekord an. Im Vorverkauf seien bereits mehr Eintrittskarten unter Volk gebracht worden als im letzten Jahr, berichtete jW-Geschäftsführer Dietmar Koschmieder am Freitag abend beim Referentenempfang in der Ladengalerie der jungen Welt in der Torstraße.

    Dabei hatte es 2011 einen besonderen Medienhype im Vorfeld der Rosa-Luxemburg-Konferenz gegeben, nachdem Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch vorab ein Referat unter dem Motto »Wege zum Kommunismus« in dieser Zeitung veröffentlicht hatte. Das böse K-Wort wurde nach Kräften skandalisiert. 2200 Gäste nahmen daraufhin an der Konferenz teil; 140 Journalisten waren akkreditiert, darunter ein gutes Dutzend Kamerateams. Die Podiumsdiskussion im großen Saal mußte bereits per Großleinwand in den Eingangsbereich übertragen werden.

    In diesem Jahr blieb die Aufregung der »Leitmedien« aus. Das Interesse an der Rosa-Luxemburg-Konferenz scheint dennoch kontinuierlich zu wachsen.

    Ein Teil der ausländischen Referentinnen und Referenten traf bereits am Freitagabend in der jW-Ladengalerie ein. So etwa Geraldo Gasparin von der Landlosenbewegung »Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra« (MST) in Brasilien sowie Sami Ben Ghazi von der Union der Kommunistischen Jugend Tunesiens und die Sprecherin des Verteidigerteams von Mumia Abu Jamal in den USA, Johanna Fernandez. (jW)

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    Liveberichte aus der Urania

    Von der am kommenden Samstag, den 14. Januar 2012 in der Berliner Urania stattfindenen Rosa-Luxemburg-Konferenz soll es erstmals eine Live-Berichterstattung über das Internet geben. Schon während der Konferenz wird die jW-Redaktion mittels Kurzbeiträgen, Interviews und Fotos über Referate und Diskussionen mit Gästen aus Nord- und Südamerika, Afrika und Europa berichten. Auch die Videobotschaft der Tochter von Mumia Abu-Jamal wird dann aktuell im Internet verfügbar gemacht. Diese neue Art der Konferenzberichterstattung ist kostenfrei unter www.jungewelt.de zugänglich.

    Die voraussichtlich ab 18 Uhr stattfindende Podiumsdiskussion kann per Internetstream live am Computer mitverfolgt werden. Der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Heinz Bierbaum diskutiert dann mit der Publizistin Jutta Ditfurth, dem Schriftsteller Dietmar Dath und dem Autor Georg Fülberth über die Frage »Sozialismus oder Barbarei – welche Rolle spielt die Linkspartei?«.

    Die Tageszeitung junge Welt organisiert seit 17 Jahren die Konferenz gemeinsam mit Gewerkschaften, Solidaritätsgruppen, Medien und Bürgerinitiativen am Vortag der jährlich stattfindenden Demonstration zur Erinnerung an die Ermordung der Mitbegründer der KPD Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919. Die Konferenz gilt als das wichtigste regelmäßig stattfindende Symposium der Linken im deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr werden über 2000 Teilnehmende erwartet, zwei Tage vor Konferenzbeginn ist die Veranstaltung bereits fast ausverkauft. Da das Interesse an der Konferenz jährlich wächst, wollen Redaktion und Verlag der Zeitung in diesem Jahr erstmals Erfahrungen mit der Liveberichterstattung über die Online-Ausgabe der jungen Welt sammeln. Das komplette Veranstaltungsprogramm ist auch unter www.rosa-luxemburg-konferenz.de einsehbar.