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Aus: Ausbildung, Beilage der jW vom 03.09.2025
Einfluss von Religion

Schulen ohne Gott

Die GEW will den Einfluss von Religion und Kirchen auf die Schulausbildung mindestens eindämmen und fordert die Gründung »bekenntnisfreier Schulen«
Von Bernhard Krebs
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Die Welt außerhalb des Kasernenhofs: Bedingungen im Simulator des Hubschraubers EC 135

Die gesellschaftliche Bedeutung von Religion nimmt immer weiter ab, wie die hohen Austrittszahlen Gläubiger aus der katholischen und der evangelischen Kirche in den zurückliegenden Jahren eindrucksvoll belegen. Laut der »Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland« gab es Ende 2024 mit 47 Prozent erstmals mehr konfessionsfreie Menschen als römisch-katholische und evangelische Kirchenmitglieder zusammen, die es nur noch auf 45 Prozent brachten. Die restlichen acht Prozent stellen Angehörige anderer Konfessionen oder sogenannte konfessionsgebundene Muslime, also solche, die ihren Glauben praktizieren, dar. Religiös aktiv sind sogar nur rund fünf Prozent der Bevölkerung.

Beeinflussung von außen

Trotz dieser Entwicklung bleibt der gesellschaftliche Einfluss von Religion und Kirchen ungebrochen und immens. Das zeigt sich besonders an Schulen, wo über den grundgesetzlich garantierten Religionsunterricht vor allem die beiden großen christlichen Konfessionen – mittlerweile zunehmend aber auch von muslimischen Religionsgemeinschaften – großer Einfluss auf Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen genommen wird. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist da eindeutig: Religionsunterricht muss »konfessionell positiv« die Glaubenssätze einer bestimmten Religionsgemeinschaft »als bestehende Wahrheiten« vermitteln. Dabei ist die BRD eigentlich ein religiös neutraler Staat. Artikel 4 Grundgesetz: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.«

Mit der hier zum Ausdruck gebrachten Neutralität ist es aber selbst im Grundgesetz nicht weit her. Schon drei Artikel später konstatiert Artikel 7 zwar, dass »das gesamte Schulwesen« unter »Aufsicht des Staates« stehe. In Absatz 3 wird diese Neutralität jedoch zugunsten der Kirchen relativiert, wenn dort der Religionsunterricht als »ordentliches Schulfach«, nicht nur für Bekenntnisschulen – also Schulen in kirchlicher Trägerschaft –, sondern für alle Schulen, die nicht ausdrücklich »bekenntnisfreie Schulen« sind, vorgeschrieben wird. Gut, ließe sich sagen, müssen bekenntnisfreie oder unreligiöse Eltern für ihre Kinder halt eine bekenntnisfreie Schule suchen, dann hat sich das Problem mit dem Religionsunterricht. Nur gibt es laut dem »Zentralrat der Bekenntnisfreien« außer in Bremen und Berlin sowie Brandenburg, wo »Reli« seit 1996 kein ordentliches Schulfach mehr ist, »in keinem anderen Bundesland eine öffentliche, staatlich getragene Schule«, die »als bekenntnisfrei eingestuft« werden kann.

Initiative aus der Gewerkschaft

Dieser Sachlage nimmt sich nun eine Initiative der Bundesfachgruppe Gesamtschulen in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an, wenn sie die verstärkte Einführung bekenntnisfreier Schulen fordert. Ein entsprechender Antrag lag beim zurückliegenden Gewerkschaftstag im Mai vor und wurde von der Antragskommission zur Annahme empfohlen, kam aber – wie viele andere – aus Zeitnot nicht zur Abstimmung. Leider wurde eine Gesprächsanfrage von junge Welt von der GEW-Pressestelle zu dem Antrag abschlägig beantwortet. »Bis zu einem Beschluss« habe die GEW »keine Position zu diesem Thema«, schrieb Pressesprecher Ulf Rödde. Ein Kontakt zur Bundesfachgruppe Gesamtschulen könne er auch nicht herstellen, weil Fachgruppen »gegenüber der Presse nicht sprechfähig« seien.

Klar ist aber: Für die Einführung bekenntnisfreier Schulen wäre keine Änderung des Grundgesetzes nötig. Es ist ohnehin unwahrscheinlich, dass sie bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen zustande kommen würde. Bekenntnisfreie Schulen könnten auch durch eine Veränderung von Landesgesetzen erreicht werden. Nur ist das bis heute, abgesehen von Bremen, Berlin und Brandenburg, in keinem der 13 übrigen Bundesländer geschehen. Das kann dann mitunter zu fast schon verrückten Situationen führen, wie in Hessen, wo nicht nur Katholiken, Protestanten und muslimische Schülerinnen und Schüler in ihren jeweils eigenen Religionsunterricht marschieren, um getrennt in den Glaubensgrundsätzen ihrer Konfession »erzogen« zu werden. Nein, der aktuelle Lehrplan von Hessen sieht Religionsunterricht für gleich zwölf (!) unterschiedliche religiöse Bekenntnisse vor.

Für die Bundesfachgruppe Gesamtschulen in der GEW ein unhaltbarer Zustand, wie es in einer Mitteilung vom Humanistischen Pressedienst im Juni hieß. Es sei dazu angemerkt, dass die GEW die Schulen des »gemeinsamen Lernens« vertritt, also Gesamtschulen, die unter anderem auch Gemeinschaftsschulen heißen können. Diese Schulform wird schon heute von einer zunehmend heterogenen Schülerschaft besucht. Von der Verfassung werden sie obendrein gezwungen, die lernenden jungen Menschen nach dem Bekenntnis ihrer Eltern in einem Fach zu trennen, das besonders geeignet wäre, sich über unterschiedliche Vorstellungen von Werten, Normen, Lebensgestaltung und Zusammenleben in der Gesellschaft zu verständigen.

Werte getrennt vermittelt

Man stelle sich vor, so würde beim Politikunterricht verfahren und Schüler würden nach Parteibuch oder -präferenz der Eltern in CDU-, SPD- oder AfD-Klassen und dergleichen unterteilt. Ein völlig absurder Gedanke. Hinzu kommt, dass der Religionsunterricht inhaltlich und personell von den Kirchen bestimmt, aber aus dem allgemeinen Steuersäckel finanziert wird. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass beispielsweise der Austritt aus der katholischen Kirche einen vor der weiteren steuerlichen Alimentation von sympathischem »Spitzenpersonal«, wie dem Kölner Skandalkardinal Rainer Maria Woelki bewahrt. Der wird vielmehr, wie auch seine evangelischen Amtsbrüder und -schwestern, wie ein Spitzenbeamter aus dem allgemeinen Landeshaushalt bezahlt.

Vor allem beim pädagogischen Personal ist der Einfluss der Religionsgemeinschaften bislang völlig ungebrochen. Sie sind berechtigt, Lehrkräften eine Lehrerlaubnis zu verweigern, selbst wenn die Kandidaten alle notwendigen Abschlüsse und Staatsexamina beibringen können. Ohne »Vocatio« (evangelisch), »Missio Canonica« (katholisch), »Idschāza« (islamisch) in der Personalakte, dürfen Pädagogen nicht im Religionsunterricht eingesetzt werden. Gründe für die Nichtzulassung reichen von Abweichungen in der Lehre bis zu fehlender Kirchenmitgliedschaft. Auch eigentlich rein private Angelegenheiten, wie die Neuheirat nach einer Scheidung, können einen katholischen Religionslehrer die Lehrerlaubnis kosten.

Schulbetrieb hinkt hinterher

Darüber hinaus ist es im Bundesland Nordrhein-Westfalen nicht unüblich, dass kirchliches Personal selbst im Schulfach Religion unterrichtet. Heute meist aus Lehrkraftmangel; früher, in den 1980er Jahren, als der Autor dieser Zeilen am Niederrhein eine katholische Grundschule besuchte, war es eher eine Selbstverständlichkeit, dass der Pastor der katholischen Pfarrgemeinde die Kinder in Religion unterrichtete. Rückenwind für ihr Ansinnen, Schüler zu Themen der Religion, zu Sinn- und Wertfragen nicht konfessionell getrennt, sondern gemeinsam zu unterrichten, bekommt die GEW jedenfalls aus weiten Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung: Laut einer GfK-Umfrage von 2022 befürworten 72 Prozent der Befragten einen »Ethikunterricht für alle«. Unter Konfessionsfreien ist die Zustimmung mit 86 Prozent sogar besonders hoch. Doch auch in den Religionsgemeinschaften ist eine jeweils deutliche Mehrheit dafür: 57 Prozent der Katholiken, 67 Prozent der Evangelischen, 60 Prozent der Muslime.

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